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Die gute Fee aus dem Internet

Ein kleiner Plausch und Hilfe im Haushalt: Über die AOK Plus-Helden haben Renate Peter und Nora Hübner zusammengefunden. Foto: R. Bonß

Dresden – Es sind die kleinen Handgriffe im Haushalt, die im Alter irgendwann einfach nicht mehr funktionieren: Auf die Leiter steigen, um die Gardinen abzunehmen. Oder auf die Knie gehen, um die Scheuerleisten abzuwischen. Da kann sich glücklich schätzen, wer Unterstützung erhält. Und die soll es über ein neues Portal geben: plushelden.de. Als das Pilotprojekt vor einigen Monaten startete, wurden Teilnehmer gesucht.

Die Redaktion der Sächsischen Zeitung fragte im vergangenen Sommer die Seniorin Renate Peter aus Dresden wie ihr diese Kontaktvermittlung gefällt. „Ich möchte das nicht mehr missen“, sagte die 76-Jährige damals. Sie, damit ist Nora Hübner gemeint. Ebenfalls aus Dresden und 31 Jahre jung. Seit nahm Renate Peter die Aufgaben ab, die die Seniorin aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr bewältigen kann. Als Nachbarschaftshilfe. Zusammengefunden hatten sich die beiden über das Portal www.plushelden.de – ein Netzwerk für Helfer in Sachsen und Thüringen. Es wurde während der CoronaKrise von der Krankenkasse AOK Plus , dem AWO Regionalverband Mitte-West-Thüringen und der Gründernest GmbH  aus Dresden auf die Beine gestellt.

Deutschlandweit hatte die Pandemie, vor allem mit den Einschränkungen ab Mitte März, zu einer Welle der Hilfsbereitschaft geführt. Vielerorts gründeten sich angesichts geschlossener Kitas und Läden lokale Nachbarschaftshilfe-Netzwerke. „Diese Bewegung haben wir aufgegriffen“, sagt Bernd Lemke von der AOK Plus. Bereits vor der Pandemie zeigte sich der Großteil der Deutschen hilfsbereit. 27 Prozent bezeichnen ihr Verhältnis zu den Menschen in ihrer unmittelbaren Umgebung als gut oder sogar sehr gut. Rund jeder Dritte übernimmt zumindest gelegentlich kleine Gefälligkeiten für die Nachbarn, wie die Blumenpflege oder die Versorgung eines Tieres. Das hat eine repräsentative Umfrage von YouGov im April ergeben. „Ich packe bei Reparaturen mit an oder helfe im Garten“, sagten demnach 27 Prozent der Befragten. Eine zentrale Anlaufstelle für Nachbarschaftshilfe gab es in Mitteldeutschland zu dem Zeitpunkt noch nicht.

Gemeinsam nicht einsam

Dabei lagen die Pläne bei der AOK schon länger in der Schublade. „Bereits vor der Corona-Krise hatten wir eine Nachbarschaftshilfe-Plattform für Menschen, die pflegebedürftig sind, geplant“, sagt Lemke. Die Pflege sei in den vergangenen Jahren zu einem zentralen Thema bei der Gesundheitskasse geworden. Drei von vier pflegebedürftigen Sachsen sind dort versichert. „Die Mehrheit wird von Angehörigen zu Hause betreut. Das birgt anstrengende und herausfordernde Alltagssituationen“, sagt Lemke. Die Idee: Plus-Helden aus der Region entlasten Pflegende und ältere Menschen ehrenamtlich, indem sie einfache Tätigkeiten wie Einkaufen, Wäsche waschen oder auch Botengänge übernehmen. Mitten in der Corona-Krise hat sich die Zielgruppe allerdings zügig erweitert. Das Angebot richtet sich an alle, die Unterstützung benötigen, heißt es bei der AOK. Geschlossene Kitas oder Schulen hätten zum Beispiel auch junge Familien plötzlich vor neue Herausforderungen gestellt.

Kostenfreie Vermittlung

Beim Start dieses Pilotprojektes hatten sich mehr als 200 PlusHelden aus Sachsen und Thüringen registriert. Die Hilfsangebote reichten vom gemeinsamen Spazierengehen über Einkäufe erledigen und Gassi mit dem Hund gehen bis zur Kinderbetreuung am Nachmittag. Wer Unterstützung anbieten oder in Anspruch nehmen wollte, konnte sich kostenlos online registrieren und auch sofort inserieren – unabhängig davon, ob AOK-Mitglied oder nicht.

Das Prinzip ist so einfach wie hilfreich

Per Chat können Helfer und Hilfesuchender in Kontakt treten und Details direkt miteinander abstimmen. Wer keinen Internetzugang hat, kann sein Gesuch per Hotline im Netz inserieren lassen. Diesen Weg hatte auch Renate Peter gewählt. Per Brief erfuhr sie von dem neuen AOK-Portal, telefonisch meldete sie sich an. „Gesucht habe ich ursprünglich Unterstützung für meinen Sohn. Er ist körperlich behindert und kann vieles nicht allein stemmen“, sagte die Dresdnerin Renate Peter. Zwar schaue eine vom Pflegegeld bezahlte Haushaltshilfe pro Woche eine Stunde vorbei, ausgereicht habe das jedoch nie. „Und ich selbst kann leider auch nicht mehr so, wie ich will.“ Nach wenigen Tagen habe sie einen Anruf erhalten und sich mit Nora Hübner verabredet. Diese Vermittlung ist kostenfrei. Die junge Frau hatte sich nur kurz zuvor als Plus-Heldin im Internet angemeldet. Ihre Oma, die auf einem Dorf bei Görlitz wohnt, habe ihr von dem Angebot erzählt. Lange überlegen musste sie dann nicht mehr. „Ich habe meine Oma mal eine Zeit lang unterstützt. Ich weiß, wie dankbar ältere Menschen sein können“, so Hübner. „Und mir tut es doch nicht weh, ein bis zwei Stunden Freizeit in der Woche für jemanden, der Hilfe benötigt, aufzubringen.“ Sie würde schließlich nur Aufgaben übernehmen, die keinen großen Aufwand bedeuten, sagt Hübner. Als kleine Anerkennung bekomme sie von Renate Peter mal etwas Süßes oder mal ein Blümchen. „Das wäre aber überhaupt nicht nötig, ich mache das wirklich gern.“

Da die Büroangestellte am anderen Ende der Stadt wohnt, verbindet sie den Abstecher zu Renate Peter in der Regel mit ihrem Arbeitsweg. Nachbarschaftshilfe ist in dem Fall also nicht wörtlich zu verstehen. Mittlerweile greift sie auch der Seniorin selbst im Haushalt unter die Arme – Gardinen waschen, Schränke abwischen, kleine Einkäufe übernehmen. „Früher habe ich meinen Nachbarn nebenan geholfen. Seit mir die Arthrose zu schaffen macht, habe ich kein Problem, selbst Unterstützung anzunehmen“, sagt Frau Peter. Sie hat mittlerweile die Gesellschaft von Nora Hübner schätzen gelernt und findet es schön, sich manchmal auch einfach nur zu unterhalten – „und zwar nicht nur über Krankheiten.“ Hatte sie keine Angst, jemand völlig Fremdes in die Wohnung zu lassen? „Ein gesundes Misstrauen ist in Ordnung. Aber ich merke doch schnell, wenn es einer nicht gut mit mir meint.“ Das Gefühl habe sie bei Nora Hübner nie gehabt. Auch die 31-Jährige sagt: „Es muss menschlich passen, und das tut es.“ Auf Erfolgsgeschichten wie diese bauen die Initiatoren der Plattform und hoffen auf viele weitere Plus-Helden. „Wir möchten der Vereinsamung alleinstehender und älterer Menschen entgegenwirken. Daher wünschen wir uns, dass sich die Nachbarschaftshilfe auch über die Krisensituation hinaus in Sachsen und Thüringen etabliert“, sagt AOK-Sprecher Bernd Lemke.

Kornelia Noack, Katrin Fiedler

SZ-Lebensbegleiter Tipp:

  • Bitte beachten Sie, dass die Plus-Helden im Aufbau begriffen sind.
  • Kontakt: web www.plushelden.de, Tel. 0800 1059 000 (24 Stunden erreichbar, kostenfrei.
  • Wer nicht online, sondern lieber auf herkömmlichem Weg seine Hilfe anbieten möchte, kann auf dem Portal auch einen „Abrisszettel“ herunterladen und ausdrucken. Dieser kann mit den eigenen Kontaktdaten versehen und zum Beispiel im Hauseingang des Mietshauses oder im eigenen Wohnviertel ausgehängt werden.
  • Ein weiteres Pilotprojekt zum Thema „Smartes Quartier“ ist von der AOK geplant. Hier soll das Angebot mit der Internetseite www.plushelden.de verknüpft werden.
  • Angebot für Pflegebedürftige: Es gibt in Sachsen sogenannte Nachbarschaftshelfer, die aber nicht mit den Plus-Helden verwechselt werden dürfen. Nachbarschaftshelfer bieten gegen Bezahlung „niedrigschwellige Betreuungsangebote“ an. Seit 2016 dürfen sie – wie Pflegedienste und zertifizierte Anbieter – auch „Entlastungsleistungen“ erbringen. Pflegebedürftige mit einem Pflegegrad von eins bis fünf erhalten dafür von der Kasse bis zu 125 Euro pro Monat als Entlastungsbetrag.
  • Nachbarschaftshelfer betreuen Pflegebedürftige stundenweise oder unterstützen sie im Alltag, etwa bei Einkäufen oder Arztbesuchen. Für eine Qualifizierung muss laut Staatsministerium für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt ein Lehrgang sowie alle drei Jahre ein Auffrischungskurs absolviert werden.
  • Nachbarschaftshelfer dürfen maximal zehn Euro pro Stunde und höchstens 400 Euro im Monat abrechnen. Die Plus-Helden, die sich über das neue Portal melden, sind dagegen ehrenamtlich im Einsatz.
  • Anmerkung der Redaktion: SZ-Lebensbegleiter fragte im Februar 2021 beide Frauen zum Thema Nachbarschaftshilfe „Was ist ihr Fazit aus dem vergangenen Jahr?“. Nora Hübner antwortete: „Dieses Projekt ist eine schöne Sache. Man muss keine Anträge über Behörden laufen lassen und kann unentgeltlich helfen. Es ist ein Gewinn für beide Seiten. Momentan sind wir aufgrund der aktuellen Situation unregelmäßig in Kontakt. Ich würde aber gerne eine regelmäßige Beziehung aufleben lassen.“ Renate Peter: „Es war eine vertraute Zeit, obwohl wir uns erst einmal fremd waren. Es hat mir wirklich sehr geholfen, bei Tätigkeiten im Haushalt, die ich nicht mehr gut ausführen kann. Ich würde mich freuen, wenn wir uns wiedersehen.“

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