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Alt werden kann ein Vergnügen sein …

Die Füße zum Himmel: Gelenkigkeit kennt kein Alter. Wer sich regelmäßig bewegt, kann auch im Alter noch schwungvoll wippen. Foto: Alterfalter

Sachsen –Er kennt sie alle: die größten Irrtümer beim Thema Altern, gefährliche Wunderpillen und Gedanken für mehr Gelassenheit. Vitamin D für gesunde Knochen, Botox für eine faltenfreie Stirn, kein Alkohol, pflanzliche Kost – Anti-Aging-Tipps gibt es jede Menge. So weit, so illusorisch. Denn: „Älter werden geht nicht ohne Einschränkungen“, sagt Dr. Jürgen Bludau. Seit fast 30 Jahren behandelt der Chefarzt für Geriatrie ältere Patienten – und hat jetzt ein Ratgeber-Buch darüber geschrieben. Vor allem eines hat der 62-Jährige gelernt: Viele Menschen über 65 sind überfordert, verunsichert und haben Angst. Im Gespräch mit der SZ-Lebensbegleiter erklärt der Mediziner, welche gesundheitlichen Einschränkungen im Alter normal sind, wie man sich am besten darauf vorbereitet und welche Rolle die Gene spielen.

Herr Dr. Bludau, ab wann beginnt eigentlich das Altern?

Ab 65 gilt man als geriatrischer Patient. Aber schon mit 30 oder 40 finden gewisse Veränderungen statt. Man merkt es nur nicht. Umso wichtiger ist es, Vorsorgeuntersuchungen wie Darmspiegelung oder Herzultraschall wahrzunehmen. Je mehr Zeit bleibt, umso besser kann man das Problem gemeinsam mit dem Arzt angehen.

Gerade Männer meiden jedoch oft Arztbesuche und spezielle Vorsorgeuntersuchungen.

Viele denken, das sei ein Ausdruck männlicher Stärke. So ein Quatsch! Es ist die Aufgabe der Hausärzte, diese Patienten von der Wichtigkeit zu überzeugen. Was habe ich oft mit Engelszungen auf meine Patienten eingeredet! Manchmal ist mir der Kragen geplatzt und ich habe gesagt: Wie können Sie all das unternehmen und kaufen, aber nicht auf sich selbst aufpassen? Das klappte aber meist nicht, und die Patienten kamen nicht zurück. Einigen habe ich auch vorgeschlagen, mal mit in ein Krankenhaus zu kommen, damit sie sehen, wie es enden kann, wenn sie weiter rauchen. Aber auch das nützte nicht viel. Es ist wirklich zum Verzweifeln.

Hausärzten fehlt möglicherweise die Zeit dazu.

Ich verstehe, dass sich die Kollegen nicht bei jedem 15 bis 20 Minuten Zeit nehmen können, um mit ihm zu diskutieren, eine Darmspiegelung zu machen oder sportlich aktiver zu werden, um nicht Gewicht anzusetzen. Aber Hausärzte kennen Familien oft über Generationen. Vielleicht hilft es, wenn sie sagen: Wissen Sie noch, wie Ihr Vater gelitten hat? Ihnen drohen gerade dieselben Probleme. Es liegt allein bei Ihnen, das jetzt noch zu ändern.

Zumal wir doch gerade in einer Zeit leben, in der die Chancen sehr gut stehen, alt zu werden?

Auf jeden Fall. Wer vor 30 Jahren einen Herzinfarkt erlitten hat, war tot. Bei einem Schlaganfall hieß es Rollstuhl oder Altenheim. Heute können wir mit Medikamenten sehr schnell helfen, das ist fantastisch. Wir können Krebs gut behandeln und mit Impfungen Menschen vor einer schweren Lungenentzündung oder Gürtelrose schützen. Hinzu kommen technische Hilfsmittel wie Hörgeräte. Natürlich muss man das alles entsprechend wollen.

Wir müssen aber nicht fürchten, dass wir alle künftig 120 Jahre alt werden?

Nein. Leider ist aber genau das die Hybris der Anti-Aging-Bewegung. Diese Industrie erweckt durch ihre Versprechungen und Reklame unrealistische Erwartungen und Hoffnungen, die nicht erfüllt werden können. Es gibt sogar Vertreter, die sagen: Altern ist eine Krankheit, die heilbar ist. Das ist Blödsinn. Altern ist keine Krankheit und muss entsprechend auch nicht behandelt werden. Es ist ein normaler, natürlicher, physiologischer Prozess, bei dem langsam das Risiko steigt, krank zu werden.

Welche Alterserscheinungen sind denn normal und welche krankhaft?

Fangen wir mal außen an. Es ist zum Beispiel ganz normal, dass die Haut dünner wird und Menschen Falten bekommen. Umso mehr, je häufiger sie gelächelt haben. Man friert schneller, und stößt man sich, bekommt man schneller einen blauen Fleck, vor allem, wenn man Blutverdünner einnimmt.

Und im Inneren?

Die Augen werden schwächer. Es gibt Probleme mit den Zähnen. Das Herz und die Lunge werden steifer. Die Verdauung klappt nicht mehr so gut. Das Gehirn schrumpft, was aber nicht bedeutet, dass gleich eine Demenz vorliegt. Diese ist eine neurologische Erkrankung und keine normale Alterserscheinung. Wenn das Gehirn schrumpft, sind Stürze und Kopfverletzungen besonders gefährlich, weil es zu Blutungen kommen kann. Normal ist auch, dass der Gang nicht mehr so flüssig ist. Dann kommt die Arthrose, die sich mit Sport, Physiotherapie und vorsichtig mit Medikamenten behandeln lässt. Je aktiver man bleibt, umso besser ist das.

Warum aber werden auch Menschen, die ihr Leben lang Sport treiben und sich gesund ernähren, schwer krank?

40 Prozent eines gesunden Alterns hängt von den Genen ab. 60 Prozent vom Lebensstil. Deswegen haben Forscher immer wieder versucht, das Altersgen zu finden. Das gibt es aber nicht. Es sind verschiedene Gene, die das Altern beeinflussen. Für eine Studie in Neuseeland hat man die Einwohner einer kleinen Stadt über mehrere Jahrzehnte beobachtet und untersucht. Dabei wurde deutlich, dass einige innerhalb von zwölf Monaten kaum gealtert sind, während andere drei Jahre älter erschienen.

Sie schreiben, dass Sie dazu beitragen möchten, Menschen die Angst vor dem Altern zu nehmen. Welche Ängste begegnen Ihnen denn im Klinikalltag?

Viele Menschen fürchten sich vor Krankheiten, vor Schmerzen. Sie haben bei ihren Eltern erlebt, wie diese nicht mehr aufstehen oder die Wohnung verlassen konnten. Da ist die Angst vor Krebs. Die Angst vor Demenz. Ich habe häufig erlebt, dass ältere Menschen gestürzt sind und es ihren Kindern nicht gesagt haben. Aus Angst, in ein Heim abgeschoben zu werden und nicht mehr im eigenen Zuhause leben zu können. Ich kann diese Ängste gut verstehen.

Wie wird man da gelassener?

Das Wichtigste, was ich nach fast 30 Jahren mit älteren Patienten gelernt habe, ist: Einige seiner Einschränkungen akzeptieren. Ich kannte einen Herrn, der immer gern in den Bergen wandern war. Dann machte sein Herz nicht mehr so mit, auch ein Kniegelenk mussten wir ersetzen. Irgendwann hatte er akzeptiert, nur noch im Tal spa­zieren gehen zu können. Er guckte dann hoch zu den Gipfeln und erinnerte sich an schöne Zeiten. Eine andere Patientin liebte es, jeden Morgen im Park spazieren zu gehen. Als sie nur noch mit dem Rollator laufen konnte, war ihr das peinlich. Irgendwann traute sie sich doch damit raus und war so glücklich, wieder jeden Tag im Park sein zu können. Akzeptieren heißt ja nicht aufgeben.

Kann die Familie dabei helfen?

Es ist ganz wichtig, im Heute zu leben und nicht zu sagen: Das hatten wir 1960 nicht, also brauche ich das heute auch nicht. Ältere sollten sich für die Sachen ihrer Enkel interessieren. Facetime, Skype, WhatsApp – man muss ja nicht selbst ein Smartphone haben, aber man kann fragen: Was ist das, wie macht ihr das? Vielleicht können die Kinder der Oma zeigen, wie sie auf einem Tablet ein Buch lesen kann. Wie viel bequemer es ist, die Schrift zu vergrößern statt mit einer Lupe hantieren zu müssen. Wichtig auch: Ältere müssen zum Partner ihres Arztes werden, ehrlich sein und auch mal sagen: Ich möchte diese OP nicht, welche Möglichkeiten gibt es noch?

Was sind die größten Fehler, die man während des Alterns machen kann?

Nicht akzeptieren. Und in Missmut an die Vergangenheit denken. Wer Streit mit den Kindern oder Bekannten hatte, sollte auf sie zugehen und sagen: Das war blöd, können wir das nicht aus dem Weg räumen?

Sie kritisieren immer wieder Anti-Aging-Produkte. Wieso ist die Nachfrage der Menschen danach so groß?

Es gibt keine wissenschaftlichen Erkenntnisse, dass derlei Pillen, Salben oder Tinkturen wirken. Doch die Leute geben jede Menge Geld aus – für nichts. Das Gefährliche ist: Wissenschaftlich begründete, seriöse Behandlungsmethoden werden dadurch nicht oder zu spät wahrgenommen. Wir Ärzte können das Altern nicht aufhalten. Wir können dem Patienten aber sagen: Die Knie-OP macht vielleicht schon jetzt mit 50 Jahren Sinn. Warte nicht, bis es zu spät ist. Die Anti-Ager aber behaupten: Wir garantieren, alle chronischen Krankheiten zu heilen. Das funktioniert nicht.

Dennoch: Der Buchtitel „Alt werden ist ein Vergnügen“ dürfte bei älteren Menschen ein Stirnrunzeln hervorrufen.

Wir haben lange wegen des Titels gerungen. Alles, was mit Altsein zu tun hat, ist ja nicht wirklich in. Deswegen auch der Untertitel „Wenn Sie es richtig anstellen“. Dasitzen und warten, dass alles gut wird – das geht natürlich nicht. Einige Menschen haben genetisches Glück, sind lange Zeit aktiv und haben kaum chronische Probleme. Andere sind mit 50 schon herz- oder lungenkrank. Wichtig ist, mit dem Arzt zusammenzuarbeiten. Das Buch ist ja für drei verschiedene Altersgruppen geschrieben.

Welche sind das?

Zum einen die Patienten 75+, die sich fragen: Was kann ich machen, um so mobil wie möglich zu bleiben? Mobilität ist Lebensqualität. Wer nicht mehr rausgehen kann, kann die Enkel nicht besuchen. Es geht darum, chronische Erkrankungen gemeinsam mit dem Arzt zu behandeln. Das bedeutet Mitarbeit. Aber auch Vorsicht bei Medikamenten. Viele Ältere wissen gar nicht, was sie da alles einnehmen. Da heißt es nachfragen. Zum anderen sind da die 60-Jährigen, die nicht die Vorsorgeuntersuchungen verschlampen sollten. Die Darmspiegelung ist eine unangenehme Sache, aber Darmkrebs ist weitaus unangenehmer. Impfungen, Sport, Ernährung sind wichtig, Übergewicht zu vermeiden. Gerade bei Männern setzt der Bauch an, das bringt Probleme mit dem Rücken. Auch mal den Arzt fragen: Kann ich mich auf Osteoporose testen lassen? Was kann ich gegen die Arthrose im Knie noch machen?

Und die dritte Altersgruppe?

Das sind die 45- bis 50-Jährigen: Die Kinder sind aus dem Haus, aber sie kümmern sich um die Eltern. Sie sollen hier Antworten und wichtige Informationen bekommen.

Was fasziniert Sie an der Geriatrie?

Ich habe damals als Assistenzarzt in Irland drei Monate auf einer Geriatrie gearbeitet. Ich wollte sehen, wie man dort mit älteren, mehrfach erkrankten Patienten umgeht. Der Geriater dort hat mir sehr imponiert. Er sagte: Wir können zwar nicht den Diabetes oder die Herzkrankheit heilen, aber wir können die Lebensqualität der Patienten verbessern. Wenn ich heute von anderen Medizinern höre, bei älteren Patienten könne man eh nicht viel machen, stellen sich mir die Haare auf. Doch, man kann, braucht aber ein Team mit gut ausgebildeten Krankenschwestern und Therapeuten. Und siehe da, plötzlich kann ein Patient wieder besser laufen oder sich besser bewegen. Was mich schon damals fasziniert hat, habe ich dann in meinem ganzen Arztleben weiterverfolgt.

Das Gespräch führte Kornelia Noack.

SZ-Lebensbegleiter Tipp:

Alt werden ist ein Vergnügen, wenn Sie es richtig anstellen. Gut vorbereitet und so gesund wie möglich ins Alter“, Dr. Jürgen Bludau, Edel Books,240 Seiten, Preis: 18,95 Euro, ISBN: 978-3-8

„Alt werden ist ein Vergnügen, wenn Sie es richtig anstellen. Gut vorbereitet und so gesund wie möglich ins Alter“, Dr. Jürgen Bludau, Edel Books,240 Seiten, Preis: 18,95 Euro, ISBN: 978-3-8419-0805-6 © Edel Books

Dr. Jürgen Bludau ist Facharzt für Innere Medizin und Chefarzt der Geriatrie in Lich (Hessen). Er studierte an der Harvard-Uni. 

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