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Leben im Pflegeheim: „Spagat wäre nicht zu stemmen“

Seniorenheimbewohnerin Rosemarie Wolff mit ihrer Tochter Iris sind am Tisch im Seniorenheim.
Seniorenheimbewohnerin Rosemarie Wolff und ihre Tochter Iris Kranz. Foto: Sven Ellger

Dresden – Weit sind sie nicht gekommen an diesem Tag. Iris hatte ihre Mutter Rosemarie John gerade aus dem Krankenhaus in Friedrichstadt abgeholt. Etwa in Höhe Bahnhof Neustadt kam dann der Anruf aus der Klinik: Sofort wieder umkehren! Die Leberwerte sind fürchterlich schlecht.

Einige Tage nach der erneuten stationären Aufnahme dann der nächste Versuch. Diesmal schaffte es Rosemarie John mit Ach und Krach bis nach Hause und die Treppen hoch. Dort verschlechterte sich ihr Zustand allerdings von Tag zu Tag. Nach ersten Vergiftungs- und Lähmungserscheinungen kam die 81-Jährige wieder ins Krankenhaus. Diesmal mit dem Rettungswagen. Seitdem wird ihr Körper durch einen „Tips“ unterstützt, eine Art Gefäßkurzschluss, um die Leber zu entlasten.

Ihr ganzes Leben hat Rosemarie John in einem alten Bauernhaus in Leppersdorf verbracht. 45 Jahre lang arbeitete sie als Sekretärin im Radeberger Krankenhaus, die letzte Zeit gemeinsam mit ihrer Tochter Iris, die Krankenschwester wurde und inzwischen in der Orthopädie in einem Dresdner Krankenhaus angestellt ist.

„Was nützt es, wenn Sie nicht mehr leben?“

Entsprechend kritisch verfolgte sie die zunehmenden Hüftprobleme ihrer Mutter, die sich inzwischen nur noch mit dem Rollator einigermaßen sicher vorwärtsbewegen kann. Wegen ihrer Vorerkrankungen ist jedoch kein Arzt bereit, sie zu operieren. „Was nützt es, wenn Sie eine neue Hüfte haben, aber nicht mehr leben?“, fragte einer von ihnen.

Über längere Zeit pendelte Rosemarie John zwischen Kurzzeitpflege, Krankenhaus, Reha und ihrem Haus in Leppersdorf, das sie doch eigentlich nie verlassen wollte. Hier wurde sie geboren und hier hätte sie auch eines Tages sterben können. Doch es kam anders.

Das Seniorenwohnheim „Am Gorbitzer Hang“ in Dresden wurde ihr neues Zuhause. Noch kurz vorher hatte ihre Tochter dort für sie einen Platz in der Kurzzeitpflege gefunden. Wenige Wochen später ergab sich die Möglichkeit, dauerhaft in ihrem Zimmer zu bleiben.

Entscheidung musste her

Eine große Entscheidung – für Tochter Iris zu diesem Zeitpunkt noch mehr, als für ihre Mutter selbst. Die Mutter sah die Dinge recht rational und wollte zu Hause niemandem zur Last fallen. Nach einem Sturz im Januar war sie dort mehr denn je auf Hilfe im Alltag angewiesen gewesen. Zweimal am Tag kam der Pflegedienst, zog sie früh an und brachte sie abends ins Bett. „Und was ist mit den zwölf Stunden dazwischen?“, fragt die Tochter. Zwar war die Wohnung im Haus bereits teilweise behindertengerecht umgebaut worden. Die Stufen allerdings blieben.

„Es war klar, dass das bald nicht mehr funktionieren würde“, sagt Iris. Ihr Bruder, der mit im Haus wohnt und dort eine Kfz-Werkstatt betreibt, ist den ganzen Tag mit Autos beschäftigt. Auch die Schwiegertochter hätte kaum mehr leisten können, als ab und zu nach der Großmutter zu schauen.

Rosemarie John sitzt mit ihrer Tochter Iris am Tisch im Seniorenheim.
„Das ist mir schon schwergefallen“, sagt Tochter Iris. Doch Rosemarie John lässt keinen Zweifel zu. Foto: Sven Ellger

„Zeitweise hatten wir uns schon fast mit einer polnischen Pflegekraft arrangiert, die 24 Stunden einzieht“, sagt Iris. Diese habe neben freier Kost und Logis allerdings auch einen eigenen Wohnbereich gefordert. Am Ende wäre das genauso so teuer wie ein Heimplatz gewesen.

Nun also vertraute die 56-Jährige ihre Mutter doch einem Seniorenheim an. „Das ist mir schon schwergefallen“, sagt Iris, auch wenn die ganze Familie hinter der Entscheidung stand. „Natürlich will man nur das Beste für seine Mutter, die so viel für uns Kinder geleistet hat.“ Dafür hätte sie viel geopfert, sagt sie, doch mit in Leppersdorf einzuziehen, war nicht realistisch. „Der Spagat wäre nicht zu stemmen gewesen.“

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Nach dem Gespräch mit den Pflegekräften im Gorbitzer Seniorenheim hatte Iris von Anfang an ein gutes Gefühl. „Vor allem Frau Karsten ist sehr auf uns eingegangen, hat vieles möglich gemacht und konnte viele Fragen beantworten.“ Außerdem wusste die Tochter, dass sie von Arbeit aus schneller mal in Gorbitz ist als in Leppersdorf.

Dazu kam die frühe Einsicht ihrer Mutter, die die Entscheidung letztlich selbst traf. Die Vorteile waren offensichtlich. Im Heim gab es eine Kirche, einen Friseur, Ergotherapie und Fußpflege. „Die Pflegekräfte kommen zum Spritzen ins Zimmer und wenn ich mal nicht zum Essen komme, werde ich geholt“, sagt Rosemarie John.

Dass der letzte Umzug auch anders laufen kann, zeigt das Beispiel von Ingeburg, der Schwiegermutter von Iris, die fast zeitgleich mit Rosemarie John die Möglichkeit bekam, ins selbe Pflegeheim einzuziehen. In denselben Wohnbereich, auf derselben Etage. Ein Wink des Schicksals. Doch die 87-Jährige lehnte das zunächst vehement ab und wollte in ihrer Drei-Raum-Wohnung bleiben.

Im Unterschied zu Rosemarie John ist Ingeburg noch gut zu Fuß, dafür hat sie zunehmend Probleme, ihre Gedanken beieinander zu halten. „Sie läuft und ich denke“, bringt es Rosemarie John auf den Punkt.

Über längere Zeit betreute Iris ihre Schwiegermutter zu Hause. Nun konnte die Seniorin unter großen Mühen überzeugt werden, doch zu „Rosi“ ins Heim zu ziehen. „Aber zum Schlafen komme ich wieder nach Hause“, war sie anfangs noch überzeugt. Angekommen ist sie bis heute nicht.

In der Serie „Der letzte Umzug“ begleiten wir die 81-jährige Rosemarie John bei ihrem Einzug ins Seniorenheim. In der nächsten Folge berichtet eine Pflegekraft, wie unterschiedlich schnell neue Bewohner im Heim ankommen – und was ihnen besonders wichtig ist.

Henry Bernd

SZ-Lebensbegleiter Tipp:

Ein Leben im Seniorenheim – Rosemarie John ist jetzt ein Teil dieses Mikrokosmos. In den kommenden Wochen wollen wir sie begleiten, ihre Ängste, Hoffnungen und Pläne kennenlernen, aber auch ihre Geschichte, die sie nach acht Jahrzehnten hierhergeführt hat, in das ASB-Seniorenheim „Am Gorbitzer Hang“.

Seien Sie neugierig auf die nächsten Geschichten, die wir fortlaufend an jedem Donnerstag veröffentlichen werden. Klicken Sie auf die Links der vergangenen Artikel der Serie, sollten Sie eine Geschichte von Rosemarie John verpasst haben!

Teil 1: „Rosemaries erster und letzter Umzug“

Teil 2: Leben im Pflegeheim: „Ich wollte immer in die Stadt“

Teil 3: Leben im Pflegeheim: „Zu Hause wäre ich nur eine Last“

Seien Sie gespannt, wie es weitergeht:

Teil 5: „Der letzte Umzug ist ein großer Schritt“

Teil 6: „Genieße es, mal rauszukommen“

Teil 7: „Macht euch um  mich keine Sorgen“

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