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Karte Sachsen umriss
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Ernst Hirsch Industriefilme
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Freier Filmschaffender – Ernst Hirsch Teil 11

Der Dresdner Kameramann Ernst Hirsch erzählt in seiner Autobiografie „Ernst Hirsch – Das Auge von Dresden“ über die Stationen seines Lebens und seiner Arbeit. Das Buch ist längst vergriffen und auch antiquarisch nicht mehr zu bekommen. Exklusiv darf „leben50“ das Buch noch einmal veröffentlichen. Lesen Sie in Teil 11 unserer Serie, wie es für Ernst Hirsch nach dem Ausstieg aus der „Aktuellen Kamera“ beruflich weiterging.

Abschied von der „Aktuellen Kamera“

Am 5. Februar 1968 erledigte ich in Berlin alle Formalitäten, die mit der Kündigung zusammenhingen, war dann aber noch auf der Leipziger Frühjahrsmesse für die Auslandsredaktion de Fernsehens tätig. Eigentlich war es eine Überreaktion, eine gut bezahlte sichere Stellung mit vielen Vergünstigungen und Vorteilen einfach zu kündigen; eine kühne Entscheidung, die das berufliche Aus hätte bedeuten können. Für Kameraleute, wie ich einer war, gab es als Arbeitgeber nur diese eine staatliche Fernsehanstalt oder die Filmgesellschaft DEFA, wo ich ohne einen Abschluss der Filmhochschule Potsdam-Babelsberg nie angenommen worden wäre.

Beim Fernsehen hätte man nun sagen können: „Jetzt hat er gekündigt, jetzt ist er für uns gestorben“. Doch ein großer Glücksumstand kam mir zugute, wie das manchmal im Leben eben so ist: 1968 begann nämlich in der DDR das Farbfernsehen mit Versuchssendungen. Zunächst mussten die Sendungen auf Film konserviert werden. Es wurden auch Farbfilme gebraucht. Farbfilme für das Fernsehen hatten besondere Bedingungen zu erfüllen: Sie sollten nicht zu kontrastreich sein, sollten bestimmte Farben enthalten usw. Eine spezielle Ausbildung dazu war eigentlich die Voraussetzung. Herbert Eckert, der mir vor vielen Jahren seine alte Debrie-Holzkamera verkauft hatte und wie ich aus Dresden stammte, war noch immer Chefkameramann beim Fernsehen und half mir. „Hirsch, Sie sind ja nun nicht mehr bei der ‚Aktuellen Kamera‘, können Sie auch einen Farbfilm realisieren? Filmformat 35 mm? Eine Kamera können wir Ihnen allerdings nicht zur Verfügung stellen, wir haben selbst viel zu wenige.“ Nun hatte ich zwar noch meine Schneider-Kamera von 1954, die aber mit der sogenannten „Filmdurchsicht“ ohne richtigen Sucher für Farbfilm nicht zu gebrauchen war.

Da kam der Kameramann Günther Henschke aus der Sowjetunion zurück, wo er einen dreiteiligen Fernsehfilm „Sibirien heute“ gedreht hatte und brachte eine sowjetische Spiegelreflexkamera der Marke »Konvas« mit, die er mir verkaufte. Genau richtig für Farbfilmaufnahmen, wenn auch mechanisch und optisch typisch russisch, „aus einem Stück gefeilt“, wie man ironisch zu sagen pflegt, aber sehr robust und zuverlässig.

Also die Kamera war vorhanden, jetzt noch ein Filmthema. Ich schlug vor, einen Film über die „Silbermannorgeln in Sachsen“ zu drehen. Der Vorschlag wurde angenommen, da man sich mit diesem Thema auch Exportchancen für das Westfernsehen versprach. Filme sind immer Teamarbeit. Ein Fachberater, ein Orgelspezialist, schrieb das Drehbuch. Er empfahl, mehrere Silbermannorgeln im Erzgebirge zu besuchen, das Geburtshaus Silbermanns in Kleinbobritzsch aufzunehmen und die ehemalige Werkstatt Silbermanns in Freiberg. In Frauenstein im Erzgebirge schuf Gottfried Silbermann eine Orgel für seine Heimatstadt. Nach seinen Studienjahren war er aus dem Elsass zurückgekommen, wo sein Bruder als angesehener Orgelbauer wirkte. Gern wären wir nach Straßburg gefahren, um im dortigen Münster die Silbermann-Orgel aufzunehmen, erhielten aber keine Genehmigung. Wir mussten uns mit Postkarten begnügenn, die wir am Filmtricktisch animierten. Die Orgelbaufirma Gebrüder Jehmlich in Dresden baute gerade eine fahrbare Konzertorgel für den Kulturpalast in Dresden und in der Hofkirche erfolgten in dieser Zeit der Wiedereinbau und die Internierung des im Krieg glücklicherweise ausgelagerten und dadurch erhalten gebliebenen letzten großen Werkes Silbermanns. Wie sollten nun hochwertige Tonaufnahmen entstehen? Unser Redakteur Hans Möskenthin vermittelte: „Ich habe eine Idee. Mein Freund Claus Strüben ist Cheftonmeister der Schallplattenfirma ETERNA, dort wurde eben eine Platte ‚Die Orgellandschaft der DDR‘ produziert.“ Wir bekamen die Bänder in hochwertiger Stereotonaufnahme und nutzten das sogenannte „Playbackverfahren“ bei der Bildaufnahme, wofür auch keine schallgedämmte Tonfilmkamera notwendig war. Im Freiberger Dom spielte der Organist Hans Otto, mit dem wir bekannt waren. Zu seinem 50. Geburtstag hatte er uns nach Freiberg eingeladen und spielte, für die Geburtstagsgäste unvergesslich, um Mitternacht „Toccata und Fuge“ von Bach auf der großen Silbermannorgel. Durch diesen Film lernten wir die großartige Orgellandschaft von Sachsen kennen und nahmen neben einigen anderen Instrumenten auch die kleine Silbermann-Orgel im Schloss Burgk an der Saale auf. Für mich eine Wiederbegegnung, hatte ich das Schloss doch schon 1952 auf der Fahrradtour mit meinem Freund Dietrich Buschbeck besucht und seinerzeit auch die Orgel gehört.

„Den Ton senden wir im Zweikanalverfahren als Stereoton“, sagte uns Hans Möskenthin, der als festangestellter Redakteur beim Fernsehen auch Verbindungen zum Rundfunk hatte. Es gab bereits erste UKW-Sendungen mit Stereoton, und so wurde der Ton des Orgelfilms über die Sender des DDR-Rundfunks parallel zum Bild ausgestrahlt. Musik und Texte des Films waren so aufeinander abgestimmt, dass auch die Rundfunkhörer, die das Bild nicht sahen, den Filminhalt verfolgen konnten. Ein absolutes künstlerisches und technisches Novum, noch bevor im Westen ähnliche Versuchssendungen gestartet wurden. Im Weihnachtsprogramm des DDR-Fernsehens wurde der Film am 24. Dezember 1970 gesendet und später auch von der ARD übernommen.

Es folgten zwei weitere Filme „Bunt sind schon die Wälder“ mit dem Rundfunkjugendchor Wernigerode, ebenfalls mit Stereoton. Der Gründer und Chorleiter Friedrich Krell war für technische Neuerungen sehr aufgeschlossen und unterstützte unsere Filmvorhaben.

Bemerkungen zur Situation freiberuflicher Filmschaffender in der DDR

Meine Absicht hatte ich erreicht, als freiberuflicher Kameramann weiter für das Fernsehen tätig zu sein und nun längere dokumentarische Filme von 30 bis 40 Minuten Laufzeit gestalten zu können. Jedoch fragten immer mehr andere Auftraggeber nach, ob ich die Produktion von Industrie- und Werbefilmen übernehmen könne.

Ähnlich wie schon in der Nazizeit unterlagen Filmproduktionen in der DDR einer strengen Lizenzierungs- und Zulassungspflicht. Nur der DEFA und dem Fernsehen der DDR war es gestattet, unter einer sogenannten Globallizenz Filme zu produzieren. Dem Bedarf an Industrie-, Informations-, Werbe- und Lehrfilmen konnten die staatlichen Filmbetriebe nicht vollständig nachkommen und so hatten einige private Filmproduzenten eine sogenannte „Filmhersteller-Lizenz“ erhalten. Ich beantragte ebenfalls eine solche Lizenz beim Ministerium für Kultur. Obwohl ich alle Anforderungen erfüllte – eigene Filmtechnik, Nachweis der entsprechenden Qualifizierung usw. -, wurde mein Antrag abgelehnt. Damals musste ich mich mit diesem Bescheid zufrieden geben und konnte nichts dagegen unternehmen. Nach der Einsicht in meine Stasi-Unterlagen kenne ich die Gründe: Es war ein Neider, der in böser Absicht gegen meinen Antrag gesprochen hatte, mich ständig denunzierte und seine Berichte noch dazu in unverschämter Weise mit dem Decknamen „DIX“ unterschrieb. Ich musste damals also suchen, mich als Kameramann in eine Filmlizenz eines anderen mit eintragen zu lassen.

Der bekannte Dresdner Werbefotograf Helmut Körner, mit mir befreundet, hatte eine solche Filmlizenz, wollte jedoch nur als Werbefotograf arbeiten. Für ihn wurde ich als Kameramann in die Filmlizenz von Johannes Hempel eingetragen, der einen Kameramann mit eigener Aufnahmetechnik suchte. Hempel (Jahrgang 1917), der anfänglich Trickfilme gestaltet hatte, war im Sorbischen Ensemble und am Theater in Bautzen tätig. Er überließ mir oft die gesamte Produktion der Filme. Mit ihm realisierte ich Industrie- und Werbefilme, beschaffte Aufträge und schrieb die Verträge und Kalkulationen. Unsere Zusammenarbeit begann 1968 mit einem Film über die Produktion von Phosphorsäuregips als Rohstoff für Schwefelsäure und Zement unter dem Titel „Aus Abfall wird Rohstoff“. Es folgten Industriefilme für unterschiedliche Auftraggeber, zum Beispiel für Planeta-Druckmaschinen. Dabei versuchte ich mit der Kamera nicht nur die Maschinen funktional darzustellen, sondern sah in ihnen ästhetische Objekte, fast Kunstwerke. Neben Filmsequenzen von der Montage der Maschinen gab ich in Großaufnahmen von ineinandergreifenden Zahnrädern, Hebeln und Druckwalzen auch deren Funktion in Bildgeschichten wieder und ließ mich dabei von Vorbildern wie Sergej Eisenstein leiten, dessen Filme ich studiert hatte. Den ausländischen Kunden sollte durch die Filme der Eindruck von moderner, zeitgemäßer Produktion der Druckmaschinen im traditionellen Herstellungsgebiet in Radebeul bei Dresden in farbiger Gestaltung und in mehreren Sprachfassungen vermittelt werden. 

1971 entstand für das Deutsche Hygiene-Museum in Dresden ein Film über die Geschichte des Museums und seine Aufgaben für die Gesundheitsprophylaxe der Bevölkerung. Ein weiterer Bericht über Talsperrenmesstechnik hatte wissenschaftliche Erkenntnisse von Grundwasserströmungen zum Thema. In diesem Film galt es, die Fließverhältnisse von Grundwasser bei Talsperren, bei der Entwässerung von Tagebauen oder Küstenschutzanlagen, wie auch beim Neubau von Deichanlagen zum Beispiel auf der Insel Hiddensee wissenschaftlich genau und filmisch interessant darzustellen. Fachberater halfen uns. Ein Film, bei dem meine Frau Cornelia wie schon oft als Kameraassistentin mitwirkte, entstand über den sorbischen Künstler Martin Nowak-Neumann, der durch seine Illustrationen sorbischer Volksmärchen bekannt geworden war. „Maler seines Volkes“ wurde aus Anlass des 75. Geburtstages des Künstlers in der Regie von Johannes Hempel gedreht.

In Zusammenarbeit mit der DEWAG-Werbung Dresden drehten wir zahlreiche kurze Werbefilme, die in der Sendung „Tausend-Tele-Tipps“ im Fernsehen gesendet wurden. Viele unterschiedliche Themen wurden bearbeitet: Wein-Werbefilme mit Aufnahmen in den Meißener Weinbergen, in Freyburg an der Unstrut und in Ungarn oder mehrere Filme zur Anwerbung von Straßenbahnfahrern für die Dresdner Verkehrsbetriebe.

Die DEWAG-Werbung hatte für diese Filme ein eigenes Kopierwerk im Dresdner Industriegelände eingerichtet. Für den Schnitt der Filme hatten wir einen eigenen Filmschneidetisch gekauft, während die Musik- und Sprachaufnahmen sowie die Mischung im Tonstudio der DEFA in Dresden-Gittersee erfolgten. Für jeden Film war eine Einzellizenz bei der Hauptverwaltung Film in Berlin zu beantragen. Der Auftraggeber musste die Notwendigkeit begründen und angeben, wo er vorgeführt werden sollte, auf einer Messe oder zu Schulungszwecken zum Beispiel. Das Aufnahmematerial, besonders für Farbfilme, war knapp, kontingentiert und nur in der ORWO Filmfabrik Wolfen erhältlich. Oftmals mussten wir uns mit Resten unterschiedlicher Empfindlichkeit und Farbqualität begnügen. Das Kopierwerk nahm die belichteten Filme zum Entwickeln und Kopieren nur mit der Lizenznummer des Films an. Es war ein umständlicher, langer Weg, ehe die fertigen Kopien nach mehreren Farbkorrekturen und kombiniert mit dem sogenannten Lichtton nochmals von der Staatlichen Lizenzstelle geprüft wurden, bis sie an den Auftraggeber ausgeliefert werden konnten.

Außerdem drehte ich Filme mit landwirtschaftlichen Themen für die DDR-Landwirtschaftsausstellung AGRA in Leipzig und für das Landmaschinenkombinat „Fortschritt“ in Neustadt/Sachsen. 1976 kam eine Anfrage von dort, ob ich bereit wäre, ein Werbefilmstudio unter der Filmlizenz dieses großen Kombinates zu bauen. Obwohl mich die Landmaschinentechnik als Filmthema nicht besonders reizte, willigte ich ein. Es wurden Versprechungen bezüglich der Filmthemen, Bereitstellung neuer Aufnahmetechnik, interessante Reisen in westliche Länder usw. gemacht. Nach der Gründung des Studios legte der Leiter der Werbeabteilung mir eine Erklärung zur Unterschrift vor und sagte: „Für Auslandsreisen gelten bestimmte Voraussetzungen: Sie müssen alle Verbindungen zum Westen aufgeben.“ Ich fragte: „Zu meiner Tochter, den Verwandten meiner Frau, zu Freunden?“ Ich lehnte das Ansinnen sofort ab. „Na gut, Sie können für uns arbeiten, aber reisen können Sie nicht.“ Das war seine Antwort. Dann sagte er noch: „Hirsch, seien Sie doch nicht so dumm, ich habe das auch unterschrieben und halte trotzdem alle Kontakte aufrecht“. Ich antwortete: „Wenn Sie das machen, ist es Ihre Angelegenheit, für mich kommt es nicht in Frage.“ Die Arbeit für das Kombinat war auch im Inland vielfältig und wir bekamen Einblicke in einen bisher uns unbekannten Industriezweig. Es entstanden Werbe- und Informationsfilme, verfilmte Gebrauchsanleitungen, in mehreren Sprachen vertont.

Arbeitsgemeinschaft WERBEFILM BERLIN

Im Sommer 1982 besuchte uns der Regisseur Hans-Günther Kaden aus Berlin. Er war mir durch seine Filme, die er in den 1950er Jahren im DEFA-Studio in Dresden gedreht hatte, gut bekannt. Noch im Stil der Kulturfilmtradition, hatte seine Arbeiten sächsische und Dresdner Themen zum Inhalt, über Handwerksberufe beim Wiederaufbau des Dresdner Zwingers, die Sächsische Schweiz oder den Spreewald. Kaden, 1926 in Dresden geboren, hatte wie ich bei Zeiss Ikon gelernt, nach 1945 an den Dresdner Theatern als Beleuchter begonnen, Schauspielunterricht genommen und ab 1947 als Rundfunksprecher und Hörspielregisseur beim Landessender Dresden mitgewirkt. Er wechselte 1951 als Regieassistent zur DEFA in Dresden, ab 1953 war er Regisseur. Als das Studio für Populärwissenschaftliche Filme nach Berlin verlegt wurde, begann er dort mit der Produktion von Werbefilmen für das Fernsehen.

Ernst Hirsch Visitenkarte
Visitenkarte der AG Werbefilm Berlin

Bald war er als Filmproduzent mit Herstellerlizenz (immerhin gab es in der DDR insgesamt über 20 solcher Filmhersteller) selbständig tätig und suchte für seine Firma, die Arbeitsgemeinschaft Werbefilm in Berlin, einen neuen Kameramann. Es war für mich eine Überraschung und große Ehre, dass er sich an mich wandte. Er nannte mir die Themen, für die er Aufträge hatte: Industriefilme für die Leipziger Messe, Modefilme, Filme für Betriebe des Kombinates NAGEMA, Hersteller von Großküchengeräten, Maschinen für die Nahrungsmittelindustrie, für Kakao- und Schokoladenmaschinen, touristische Filme über Landschaften und Hotels in der DDR.

Ernst Hirsch bei Werbefilmaufnahmen
Bei Filmaufnahmen mit Hans-Günther Kaden, Werbefilm Berlin, für einen Werbefilm über Großküchen für das Wärmegerätewerk Cossebaude.

Ich willigte gern ein, beendete die Zusammenarbeit mit dem Landmaschinenkombinat „Fortschritt“ und wurde mit in die Filmlizenz der „Arbeitsgemeinschaft Werbefilm Berlin“ eingetragen. Wir begannen unsere Zusammenarbeit mit einem Film über Bademoden im Atelier in Berlin-Grünau, am Ostseestrand und in verschiedenen Freibädern. Das Atelier der Arbeitsgemeinschaft befand sich in einem ehemaligen Gasthaus in Berlin-Grünau. Als versierter Produktionsleiter war dort Gerhard Gruhle tätig, den ich ebenfalls von Dresden her kannte. Zwei Beleuchter waren für den großen Scheinwerferpark zuständig, der für die Ausleuchtung des Ateliers und der Werkhallen bei Industriefilmen gebraucht wurde.

Hans-Günther Kaden war mir ein großes Vorbild. Ich habe viel von ihm gelernt. Seine Drehbücher zum Beispiel, auch für den kleinsten Werbefilm, waren ideenreich und exakt ausgearbeitet, selbst der Kamerastandpunkt und die Brennweite des Objektivs für die jeweilige Einstellung waren eingetragen. Trotzdem ließ er mir genügend Freiheiten für die Kameraarbeit. Der Schnitt und die Endfertigung der Filme erfolgten in Berlin. So hatte ich in der Zwischenzeit in Dresden die Möglichkeit, andere Aufträge auszuführen.

Unsere Zusammenarbeit dauerte von 1983 bis 1989 und endete erst durch meine Ausreise aus der DDR. Wir standen noch lange im Briefwechsel. Bei meinen Filmarbeiten während des Wiederaufbaus der Frauenkirche konnte ich Hans-Günther Kaden über die Baustelle führen.

Auzug aus dem Buch „Im Schatten der DEFA – Private Filmproduzenten der DDR“

In ähnlicher enger Relation zum DFF/Fernsehen der DDR bewegt sich die Laufbahn des Regiekameramannes Ernst Hirsch in Dresden. In Abweichung zu Horst Klein wird seine Biografie allerdings durch ein mit zunehmender Berufserfahrung erzwungenes Suchen nach freier kreativer Betätigung unter zunehmend engeren politischen Rahmenbedingungen geprägt, was bei Hirsch 1986 in den Ausreiseantrag und im Oktober 1989 in die Übersiedlung nach München mündet.

Einen besonderen Stellenwert nimmt ferner sein enges Verhältnis zur Filmtechnik sowie zur Kunst- und Mediengeschichte ein. Hirschs Engagement für das Bewahren historischer Dresden-Filme und alter Filmapparaturen fußt tatsächlich auf einem weiten Begriff von Kulturgut und leitet sich zweites aus dem praktischen Verstehen künstlerischer und technischer Verfahren ab, denen sich respektvoll – und in Kenntnis eigener Möglichkeiten und Fertigkeiten – angenähert wird. Drittens schwingt in Hirschs Projekten immer ein gesunder Unternehmungsgeist mit, der logisch aus der Karriere eines versierten und selbstsicher auftretenden Regiekameramannes resultiert. So kann es nicht verwundern, dass seine Ausreise und der Zusammenbruch der DDR bei Ernst Hirsch beruflich kaum negative Spuren hinterließen. […]

Als freier Kameramann mit guten Kontakten und inzwischen abgeschlossenem Redakteursstudium liefen zwar bald neue Aufträge ein, jedoch benötigte Hirsch nun zwingend modernere Aufnahmetechnik, konkret eine Arriflex 35-mm-Kamera. „So halfen die Verwandten im Westen, eine gebrauchte ARRI wurde dort gekauft und nach meinen Anweisungen auseinandergenommen. Die Einzelteile kamen per Post und ich baute sie wieder zusammen.“ Schon bald versorgten der DFF bzw. Das Fernsehen der DDR Hirsch mit Aufgaben, die der Start des als Farbkanal geplanten zweiten Programms erforderte, als verantwortlicher Regisseur/Redakteur konnte er indes zunächst nicht wirken. […]

In den siebziger Jahren spezialisierte sich Ernst Hirsch auf Filme mit kultur- und kunstgeschichtlicher Thematik, die oft einen Sachsen- oder Dresden-Bezug aufwiesen. Als Auftraggeber fungierten die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, der Realfilmstab des DEFA-Studios für Trickfilme (Reihe KOSTBARKEITEN AUS DRESDNER SAMMLUNGEN, Regie Rainer Pavel) und wiederum das Fernsehen der DDR (Serie ANSICHTSKARTEN).

Auch bei den privaten Filmherstellern war Hirsch ein wegen seines optischen Denkens und technischen Sachverstandes gefragter, zuverlässiger Kollege. So realisierte er für Regisseur Johannes Hempel (IWT-Film) als in der Lizenz vermerkter Kameramann zwischen 1968 und 1976 zahlreiche Werbe-, Industrie- und Informationsfilme, z. B. INTERNATIONALE BUCHKUNST ZU GAST IN DER DDR (1973, über die Leipziger Buchmesse 1972 und die DDR als Leseland), MERCIN NOWAK – MALER SEINES VOLKES (1975, Porträt des sorbischen Künstlers und Publizisten, Assistenz Cornelia Hirsch) und KLEINES ZEICHEN MIT GROSSEM PROGRAMM (1975/76, Informationsfilm über Luft- und Kälteaggregate der Marke ILKA). Nachdem sich Hirsch 1976 als Leiter eines aus der Taufe zu hebenden Filmstudios im VEB Kombinat Fortschritt Landmaschinen bereit erklärt hatte, diese Neugründung aber schon bald zu den Akten gelegt wurde, entwickelte sich in den achtziger Jahren eine dauerhafte Arbeitsbeziehung zu Hans-Günther Kaden. Bei mehr als 40 Produktionen der AG Werbefilm Berlin führte Hirsch die Kamera (Kaden beschäftigte ihn weiter, obwohl Hirschs Ausreiseantrag seit 1986 lief).Zu diversen Arbeitsschutz- und Gesundheitsaufklärungsfilmen (SICHER ZUR ARBEIT UND ZÜRÜCK, 1986/87; PROFIL 2000: POPGYMNASTIK, 1988) gesellten sich Industriewerbefilme fürs Ausland und 1986 – als ambitionierte Projekte zu neuesten, heute umstrittenen naturwissenschaftlich-medizinischen Erkenntnissen – zwei Informationsfilme über die Sauerstoff-Mehrschritt-Therapie von Manfred von Ardenne.“

Ralf Forster, Volker Petzold

Mehr von und über Ernst Hirsch

In der nächsten Woche setzten wir die Autobiografie fort, dann lesen Sie, wie Ernst Hirsch durch Deutschland und die Welt reiste.

Das vorangegangene Kapitel über die Arbeit für die „Aktuelle Kamera“ können Sie HIER nachlesen. Zum Start der Serie klicken Sie HIER.

In der Mediathek der SLUB sind viele Filme aus der Sammlung von Ernst Hirsch bereits digitalisiert.

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