Bergisch Gladbach – Über den Tod spricht man nicht. Oder doch? Bestatter und Trauerbegleiter David Roth versucht es. Der 43-Jährige ist überzeugt, dass es einen positiven Einfluss auf das Leben hat, wenn man das Unabwendbare nicht verdrängt. In seinem Podcast „Talk about Tod“ beantwortet er gemeinsam mit dem Journalist Klaus Reichert Fragen zum Sterben.
Aus den Gesprächen ist nun ein lebensnahes Buch entstanden über Rituale, Trauer und Verwesung. Wer es liest, wird staunen, wie viele Fragen es in Bezug auf den Tod gibt. Und nicht für jeden ist wohl jede Antwort die richtige.
Herr Roth, viele Menschen bekommen ihren verstorbenen Angehörigen gar nicht mehr zu sehen, sondern zu hören: Behalten Sie ihn so in Erinnerung. Was halten Sie davon?
Viele Menschen haben durch Filme feste Bilder im Kopf, wie ein Toter aussieht. Aber ein Verstorbener ist nicht unbedingt leichenblass und riecht auch zunächst nicht. Er liegt ganz friedlich und entspannt da. Diese Ruhe überträgt sich oft auf die Trauernden und schließlich macht man irgendwas, zuppelt das Hemd zurecht oder erzählt etwas. In dem Moment fangen Angehörige an, sich damit zu befassen und erkennen, der Tod kann ihnen ihre Träume, Hoffnungen, Erinnerungen nicht wegnehmen. Die Realität ist immer viel besser als das, was man sich aus Angst vorstellt.
Wie fühlt sich ein Toter an?
Kälter und klammer, als wir es von einem Körper gewöhnt sind. Man merkt, da ist etwas anders. Es ist aber wichtig, die Person noch mal zu berühren, mit allen Sinnen wahrzunehmen, damit wir wissen, dass der Tod real ist.
Was ist mit dem Geruch?
Der verändert sich meist im Laufe der Tage. Wenn wir mit jemandem zusammenleben, können wir ein Kleidungsstück anhand des Geruches zuordnen. Bei einem Verstorbenen kommt irgendwann der Geruch des Vergehens. Entscheidend ist dabei die Temperatur, daher werden Verstorbene in kühle Räume gebracht. Sie verlieren durch die Verdunstung Wasser, sie werden schmaler, die Haut wird straffer, die Gesichtszüge werden dadurch spitzer. An den untenliegenden Stellen sammelt sich Flüssigkeit an, daher werden die Fingerkuppen dunkler. All diese Eindrücke helfen, den Tod als etwas Reales zu begreifen.
Viele haben Angst, sich bei der Berührung anzustecken. Was hat es mit dem sogenannten Leichengift auf sich?
Das ist ein Großstadtmythos, wie Krokodile in der Kanalisation. Alles, was mit einem Verstorbenen geschieht, ist das, was um uns herum organisch auch passiert. Der Körper wird von Mikroben, Bakterien besiedelt und wird wieder Grundlage für neues Leben. Das ist nichts, was uns gefährlich wird. Ein natürlicher Kreislauf. In den Südländern küssen Angehörige ihre Verstorbenen und sie sterben nicht wie die Fliegen.
Gibt es Bestatter, die sich schon einmal etwas eingefangen haben?
2016 gab es einen Fall bei Frankfurt. Ein Bestatter hatte einen Verstorbenen mit Lassafieber aus der Uniklinik Köln überführt und versorgt. Es war ein Amerikaner, der in Togo gewesen war, sich dort angesteckt hatte und dann gestorben ist. Damals kam es trotz aller Vorsichtsmaßnahmen leider zu einer Infektion bei dem Bestatter.
Wie groß ist die Gefahr für Sie?
Gering. Wir tragen immer Handschuhe und gehen behutsam vor, wenn wir den Toten anfassen, ihn waschen und in den Sarg legen. Wichtig ist, dass der Arzt, der den Tod feststellt, auf dem Totenschein auch Vorsichtsmaßnahmen aufschreibt. Wenn jemand Corona hatte, sollen wir laut Robert Koch-Institut eine FFP2-Maske tragen, da aus den Lungen beim Bewegen des Leichnams Luft entweichen kann.
Welche Reaktionen haben Sie erlebt, wenn Menschen Tote sehen?
Wir gehen öfter mit Schülern, die das wollen, zu Verstorbenen. Sie sehen im Fernsehen jeden Tag Tote und verbinden das mit Blut oder Ekel. Wenn sie dann tatsächlich einen Verstorbenen sehen, ist das zunächst oft unspektakulär. Die Person liegt ganz friedlich da und alle Muskeln sind entspannt. Nach einer Weile begreifen die Schüler, dass der Tote mal lebendig war, so lebendig wie sie selbst im Moment noch sind. Aber irgendwann werden auch sie sterben. Wenn dieser Gedanke angekommen ist, stellt sich Demut ein.
Man hört immer von der Leichenstarre?
Das geschieht erst nach einer Weile. Innerhalb der ersten 48 Stunden verkleben die Muskeln, sodass der Körper nach und nach steifer wird. In den nächsten 48 Stunden verschwindet die Starre wieder, dann ist der Körper wieder vollkommen beweglich.
Wann wird der Tote in den Sarg gelegt?
Normalerweise, sobald Angehörige einen Sarg ausgesucht haben und der Verstorbene beim Bestatter gewaschen und eingekleidet wurde. Gegebenenfalls werden Zugänge, die für eine Infusion gelegt wurden, verbunden, weil sich Wunden nicht mehr schließen. Dann zieht man dem Verstorbenen das an, was er gerne anhatte und im Prinzip im Krematorium anbehalten kann.
Was tragen die meisten Toten?
Das kann jeder frei entscheiden. Viele haben ein Totenhemd an, weil die Angehörigen das gar nicht infrage stellen und Bestatter das empfehlen. Diese Hemden sind im Rücken offen, daher sind sie leicht anzuziehen. Und es ist tatsächlich so – bei Männern mit Fliege, bei Damen mit Rüschen. Man muss sich da aber nichts vorschreiben lassen, weder für eine Erd- noch für eine Feuerbestattung. Wir raten den Angehörigen, den Toten in bequemer Kleidung zu bestatten, die er gerne getragen hat.
Geht es auch nackt?
Warum sollte das nicht gehen? Ich habe es aber bisher noch nie erlebt, dass jemand nackt beigesetzt wurde. Die Frage wird aber immer mal wieder gestellt, weil es Leute gibt, die sich Fragen, wozu ein Toter Kleidung braucht. Wir schlagen vor, darüber nachzudenken, wie der Verstorbene gerne früher das Haus verlassen hat und ihn dann so zu bestatten. Auch wenn eine Feuerbestattung gewünscht wird.
Was passiert mit einem Toten im Sarg unter der Erde?
Ab dem Zeitpunkt des Todes beginnt der Prozess der Verwesung. Bei einem sehr sandigen oder sauren Boden ist die Ruhezeit etwas kürzer, bei einem lehmigen Boden dauert es länger, bis der Körper und der Sarg darin vergehen. Irgendwann nimmt der Erddruck zu und die Struktur des Sarges lässt nach, sodass der Sarg einfällt. Geregelt ist übrigens, dass das Grab mindestens 1,80 Meter tief sein soll, bei Urnen sind es 80 Zentimeter. Das ist dafür gedacht, dass keine Tiere drankommen.
Wie oft kommt es vor, dass Angehörige etwas mit in den Sarg legen?
Relativ häufig, wir sprechen es in der Regel auch an. Es sind Briefe, Bilder, persönliche Gegenstände, wie das Trikot vom Lieblingsverein, der Karnevalsorden oder auch eine Schachtel Zigaretten. Es steht jedem frei, denn es geht ja ein bisschen darum, dass man den Verstorbenen mit einem guten Gefühl gehen lässt. Manche packen ein kleines Paket für die letzte Reise samt Talisman und Kuscheldecke. Man sollte nur bedenken, dass im Krematorium alles brennbar sein muss, also kein Glas oder Leder.
Gibt es Menschen, die sich mit einem besonders teuren Sarg ihre Schuldgefühle wegkaufen?
Nein, eher nicht. Das Abschiednehmen geht recht schnell vorbei. Dann ist der Sarg unter der Erde und erfüllt seinen Zweck.
Kann ich einen Angehörigen in der Urne mit nach Hause nehmen?
Rechtlich nein. Praktisch würde man einen Weg finden, wie man damit umgeht, da kann man eine Menge machen. In anderen Ländern ist das üblicher. Vom Prinzip her ist es zum Beispiel in Amerika nicht verboten, jemandem auf einer Ranch in Montana beizusetzen. Vielleicht haben die Amerikaner aber auch etwas mehr Erfahrung mit der Mobilität. Auch die Holländer und Schweizer würden nicht akzeptieren, dass der Staat sie so bevormundet. Deutschland ist so ziemlich das einzige Land, das noch immer einen Friedhofszwang hat, übrigens auch für Urnen. Das entspricht aber gar nicht mehr unserer Lebensrealität.
Was bedeutet das?
Die Gesellschaft ist viel mobiler geworden. Welche Kinder leben denn noch in dem Ort ihrer Eltern? Man kann aber nicht bei jedem Umzug den Friedhof wechseln.
Darf man Menschen auch nachts bei Mondschein beisetzen?
Bei uns in den Gärten der Bestattung ist das machbar. Einmal gab es den Wunsch. Um zehn Uhr abends, bei Vollmond, konnten wir eine Dame beisetzen. Der Hintergrund war, dass sie so gerne Vollmondspaziergänge gemacht hat. Dieselbe Frage ist, ob man einen Verstorbenen auch sonntags bestatten kann. Verdi wird das doof finden, aber wann haben Menschen denn überhaupt noch frei und können als Familie zusammenkommen? Mit etwas gutem Willen können wir sehr viele Wünsche erfüllen.
Was ist ein guter Tod?
Viele Menschen würden gerne plötzlich und schnell sterben. Für denjenigen, der übrigbleibt, ist das richtig schmerzhaft und schrecklich, weil ganz viel unaufgearbeitet bleibt. Oft gibt es Dinge, die man noch sagen wollte oder nicht oft genug gesagt hat. Ich glaube, der Mittelweg ist das Beste. Immer gut ist, die Möglichkeit zu haben, sich zu verabschieden, die Sachen zu ordnen. Die meisten Menschen sterben ja heute nach einer Diagnose und langer Behandlung. Da ist eigentlich genug Zeit, sich damit zu befassen, sodass man sich gegenseitig eine gewisse Sicherheit geben kann.
Ist Trauer heilbar?
Viele hoffen auf eine schnelle Heilung, bis sie realisieren, dass die Erinnerung und somit auch die Beziehung zu diesem Menschen in gewisser Form weitergeht, dass sie lernen können, mit der neuen Situation umzugehen. Sie lernen, wieder Freude daran zu haben, was gut war – Orte, wo man gern zusammen essen gegangen ist, Lieder, die man zusammengehört hat, alles was schön war. Das braucht Zeit. Früher gab es so was wie ein Trauerjahr, heute bekommt man ein oder zwei Tage Sonderurlaub und es wird erwartet, dass man danach im Job wieder funktioniert. Das ist schon brutal.
Wie wünschen sich die meisten Menschen zu sterben?
Plötzlich und schmerzlos. Viele haben die Illusion, sie könnten ewig leben, und der Tod wird erst Thema, wenn sie alt sind. So bleibt vieles unausgesprochen. Der natürliche Umgang damit fehlt. Befasst man sich mit dem Sterben, nimmt das Ängste.
Sie sagen, wir müssen den Tod zurück ins Leben holen. Wie meinen Sie das?
In der heutigen Zeit geht es sehr viel um Arbeit und um Effizienz. Da ist der Tod so etwas wie ein Störfall. Viele sind sich heute gar nicht mehr bewusst, dass wir sterblich sind. Und wenn wir nicht mehr wissen, was Tod ist, wissen wir auch nicht mehr, was Leben ist. Ich glaube, dass wir auch Angst vor der Emotion des anderen haben und vor den Ängsten der anderen.
Wenn in 1.000 Jahren unsere Gräber gefunden werden, was wird das über unsere Kultur aussagen?
In den meisten Fällen nicht viel. Es ist zu befürchten, dass man über uns denkt: Sie waren gesetzestreu und hygienisch einwandfrei. Wie wir lebten, was uns bewegte und woran wir glaubten, wird in den Gräbern nicht mehr sichtbar sein. Wir sind auf dem Weg in eine gewisse Kulturlosigkeit.
Wie meinen Sie das?
Ich war mal in England auf einer Konferenz und habe mit Archäologen gesprochen. Sie sagten, dass man von den Millionen Menschen, die auf der britischen Insel gelebt haben, gerade mal über 1.800 etwas anhand ihrer Gräber weiß. Deren Reste hatte man gefunden und konnte so zuordnen, in welcher Zeit sie wie gelebt haben und was ihnen wichtig war. Das ist wenig. Bei uns wird es aber wegen der Lieblosigkeit, mit der wir teilweise mit dem Thema umgehen, nicht anders sein. Es bleibt nicht viel von uns übrig. Das ist schade, wo wir doch mit diesen wundervollen Geschichten über Römer und Griechen aufwachsen. Oft machen wir uns Sorgen über den Verlust an Gedenkkultur, verbauen uns das Thema aber auch mit unnötigen Vorschriften.
Das Gespräch führte Kornelia Noack.
SZ-Lebensbegleiter Tipp:
- Sterben, Trauern, Grabgestaltung und -pflege – alles zusammen ist eine sehr alte Kultur, die je nach Region sehr unterschiedlich gelebt wird. So begehen die Menschen in Deutschland beispielsweise seit 1952 zwei Sonntage vor dem ersten Advent den Volkstrauertag. Er findet am 14. November 2021 statt. Der staatliche Gedenktag gehört zu den sogenannten stillen Tagen (Feiertag mit besonderen Auflagen bezüglich der Pietät oder Rücksicht auf religiöse Gefühle) und erinnert an die Kriegstoten sowie Opfer der Gewaltherrschaft aller Nationen.