Sachsen – Seine Garage hat Gerald Müller aus Rodewisch vor 40 Jahren mit eigenen Händen erbaut. Wie viele Bürger in der DDR pachtete er dafür Grund und Boden von seiner Gemeinde.
1991, kurz nach der Wende, erhielt er einen neuen Vertrag, weil das Flurstück in die Stadt Auerbach wechselte. Die sonstigen Bedingungen blieben bestehen. Nun erhielt Gerald Müller Ende September erneut Post. „Die Gemeinde kündigte mir meinen Nutzungsvertrag zum Ende des Jahres und bot mir ab Januar einen Mietvertrag für die Garage an“, sagt Müller. Die künftige Miete soll im ersten Jahr 20 Euro pro Monat betragen, im zweiten Jahr 25 Euro und im dritten Jahr 30 Euro. „Das ist viel mehr als bisher. Derzeit bezahle ich 120 Euro pro Jahr“, so Müller. Wie ihm ergeht es zahlreichen Garagennutzern in Sachsen. Die Unsicherheit ist groß.
Im Fall von Gerald Müller muss geprüft werden, ob er noch Eigentümer der Garage ist. Denn durch die Neuerung 1991 wurde der Vertrag aus DDR-Zeiten beendet.
Bei vielen anderen ist die Eigentumsfrage indes eindeutig. Sie haben noch einen DDR-Vertrag und sind so zweifelsfrei Eigentümer der Garage. Dennoch wurden sie jetzt in große Aufregung versetzt. Der Hauptgrund ist die weitverbreitete – jedoch falsche – Annahme, dass das sogenannte Schuldrechtsanpassungsgesetz Ende 2022 ausläuft. Einige Gemeinden informieren ihre Pächter diesbezüglich falsch – unwissentlich oder aber vorsätzlich – und drängen sie so zu neuen Verträgen. Das hat der Verband Deutscher Grundstücksnutzer (VDGN) in verschiedenen sächsischen Gemeinden beobachtet. „Tatsächlich gibt es jedoch keinen Grund, gerade jetzt die Unterzeichnung neuer Verträge zu fordern“, sagt Claus Bischoff von der VDGN-Beratungsstelle in Chemnitz.
Was steckt hinter dem Schuldrechtsanpassungsgesetz?
Es gilt für Pachtverträge, wie sie in der DDR für ein Wochenendhaus oder eine Garage auf fremdem Grund und Boden üblich waren. Das Gesetz wurde am 1. Januar 1995 eingeführt und betrifft nur Ostdeutschland und den Osten Berlins. Oft wird in offiziellen Schreiben von Kommunen an die Garagenpächter behauptet, das Schuldrechtsanpassungsgesetz ende zum 31. Dezember 2022 und damit ende der Vertrag. Das ist falsch, denn es gibt kein Ablaufdatum.
Der Garagen-Pachtvertrag endet also nicht automatisch Ende des Jahres?
Nein. Das Pachtverhältnis endet nur, wenn die Kommune als Grundstückseigentümer oder der Nutzer den Vertrag ordnungsgemäß kündigt, das heißt schriftlich und in den vorgeschriebenen Fristen. Beide Parteien können sich aber auch einigen, den Vertrag aufzuheben.
Im Grunde können bestehende Pachtverträge aus DDR-Zeit also auch nach 2022 weiterlaufen. Auch für den Eigentumsübergang der Garage an den Grundstückbesitzer gibt es kein Automatismus. „Viele Grundstückseigentümer vertreten jedoch immer wieder eine andere Auffassung, entweder aus Unkenntnis oder bewusst“, sagt Bischoff.
Welche Änderungen gibt es dann für 2023?
„Lediglich die Regelung für die Abrisskosten läuft Ende 2022 aus“, sagt Claus Bischoff. Bislang gilt: Egal, wer den Pachtvertrag gekündigt hat – wird die Garage innerhalb eines Jahres vom Grundstückseigentümer abgerissen, kann er den bisherigen Nutzer zur Hälfte an den Abrisskosten beteiligen. Was künftig gelten soll, hat der Gesetzgeber allerdings noch nicht klar gesagt. „Oft wird das so interpretiert, dass der bisherige Pächter bei Vertragskündigung die Garage vollständig auf eigene Kosten abreißen und das Grundstück so übergeben muss, wie er es einst übernommen hat“, erklärt Hagen Ludwig vom VDGN. Allerdings stellt sich da natürlich die Frage: Was ist der „Urzustand“? Oft war es damals in der DDR so, dass der Pächter das Grundstück erst entrümpeln musste und so überhaupt nutzbar gemacht hat. „Man muss also wohl erst entsprechende Gerichtsurteile abwarten“, sagt Ludwig.
Warum kündigen viele Gemeinden ausgerechnet jetzt die Verträge?
Viele Grundstückseigentümer versuchen, ihre Pächter dazu zu bewegen, einen neuen Vertrag mit höheren monatlichen Abschlägen zu unterschreiben. In der Regel sind das Mietverträge. In dem Fall endet naturgemäß der alte Vertrag aus DDR-Zeiten und die Garage fällt laut Schuldrechtsanpassungsgesetz automatisch an den Grundstückseigentümer. Allerdings muss keine böse Absicht dahinterstecken. Einige Eigentümer bieten zum Beispiel neue Verträge an, in denen festgeschrieben wird, dass die Garage im Eigentum des Pächters bleibe. „Das ist gut gemeint, aber im Zweifelsfall nicht rechtssicher“, sagt Ludwig. Denn wenn ein Eigentümer stirbt, könnten seine Erben die Sache anders sehen und sich darauf berufen, ihnen sei mit Ende des DDR-Vertrages das Eigentum an der Garage per Gesetz zugefallen. „Das könnten auch die Bestimmungen des zwischenzeitlich geschlossenen Vertrages nicht aushebeln“, so Ludwig. Viele Grundstückseigentümer, auch Kommunen, würden hier in Unkenntnis der Rechtsverhältnisse handeln.
Besteht die Pflicht, den angebotenen Mietvertrag zu unterschreiben?
Nein. Dem Pächter kann allerdings jederzeit fristgemäß gekündigt werden. Kündigungsschutz gibt es nicht mehr. Damit endet dann der bestehende Vertrag, und die Garage geht laut Paragraf 11 Schuldrechtsanpassungsgesetz in das Eigentum des Grundstückseigentümers über. Allerdings: Der bisherige Nutzer hat in dem Fall einen Anspruch auf Entschädigung, wenn sich der Verkehrswert des Grundstücks durch die Bebauung mit der Garage erhöht hat. Das ist in der Regel dann der Fall, wenn die Garage vom Grundstückseigentümer weitervermietet wird. Geregelt ist das in Paragraf 12 Schuldrechtsanpassungsgesetz. „Viele Grundstückseigentümer, private genauso wie kommunale, verwehren diesen Anspruch jedoch sehr oft“, sagt Bischoff. In dem Fall können ehemalige Nutzer Rechtsmittel einlegen. „Die Erfolgsaussichten sind recht hoch.“ Nicht selten würden die Verfahren mit einem Vergleich enden.
Darf die Gemeinde die Höhe der Miete einfach selbst festlegen?
Bei Neuverträgen im Prinzip schon. Sicher gibt es einen Verhandlungsspielraum, aber der ist oft beschränkt. Bei Altverträgen hingegen ist nachzuweisen, dass sich die Mieterhöhung im Rahmen der Ortsüblichkeit bewegt. In der Regel reicht hierfür der Nachweis entsprechender Entgelte für die Nutzung drei vergleichbarer Grundstücke.
Darf die Kommune eine selbst gebaute Garage weitervermieten, wenn der alte Pächter den Mietvertrag nicht annimmt?
Ja. Dem bisherigen Nutzer – also dem Erbauer der Garage – steht in dem Fall jedoch eine Entschädigung zu (Paragraf 12). In einem Fall in Altenburg hat der VDGN eine Entschädigung für die Verkehrswerterhöhung des Grundstücks durch die Bebauung mit der Garage in Höhe von 2.000 Euro vor Gericht erstritten. Der Nutzer kann seine Garage aber auch wegnehmen, wie es in Paragraf 12 des Schuldrechtsanpassungsgesetzes heißt. Eine Mitnahme bietet sich zum Beispiel bei Fertigteilgaragen an. „Dabei sollten aber die bautechnischen Möglichkeiten beachtet werden. Meist ist ein Fachgutachten ratsam“, sagt Bischoff. Und: Mit dem Abriss der Garage entfällt auch der Anspruch auf die Entschädigung. „Besser ist daher, bei einer Weiternutzung, die Baulichkeit stehen zu lassen und die zustehende Entschädigung einzufordern“, sagt Bischoff. Dafür habe man nach dem Eigentumsübergang drei Jahre Zeit.
Welche Ansprüche bestehen, wenn der alte Pachtvertrag gekündigt, aber kein neuer Mietvertrag angeboten wurde?
Das hängt davon ab. Wird die Garage abgerissen, um das Grundstück höherwertig zu nutzen, zum Beispiel für Wohnbebauung, gibt es keine Entschädigung, weil keine Erhöhung des Verkehrswertes durch die Garagen-Bebauung vorliegt. Wird die Garage jedoch weitervermietet, besteht ein Anspruch auf Entschädigung.
Kornelia Noack
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