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Kinder trauern pfützchenweise
Komm, wir besuchen Opa an seinem Grab. Foto: Patrick De Grijs

Kinder trauern pfützenweise

Eigentlich ist Ralph Caspers als sympathischer Schlaumeier bekannt, der Kindern in seiner Kika-Sendung „Wissen macht Ah!“ auf fröhliche und oft unkonventionelle Weise erklärt, wie die Welt funktioniert. Für seinen Einsatz für Bildung hat er sogar das Bundesverdienstkreuz am Bande bekommen. Nun hat Caspers ein Buch geschrieben, in dem es gar nicht lustig zugeht. In „Wenn Papa jetzt tot ist, muss er dann sterben?“ geht es um Tod, Trost und Trauer. Caspers, der erst 15 war, als sein Vater an Krebs starb, erzählt darin sensibel aber sachlich, wie Kinder trauern.

Herr Caspers, was ist Trauer für Sie?

Das Gefühl, dass sich eine Situation so verändert, dass man Verlust empfindet und spürt, dass es nie wieder so sein wird wie vorher. Eine Trauerbegleiterin hat mal ein schönes Bild dafür gebracht: Wenn jemand stirbt, den man liebt, ist das ein bisschen so, als würde einer mit einem Messer auf einen zugerannt kommen und es in den Oberschenkel rammen. Zuerst ist man geschockt, dann sieht man die blutende Wunde. Einige Menschen können sich selbst versorgen, andere brauchen Hilfe. Mit der Zeit wächst die Wunde zu. Aber dann stößt man sich an der Tischkante, und sie reißt wieder auf. Irgendwann denkt man über die Narbe nicht mehr nach. Aber wenn das Wetter umschwenkt, merkt man, dass sie zieht. So ist es auch beim Trauern. Es geht dabei ja nicht darum, den Tod zu verarbeiten, wegzupacken und den Menschen zu vergessen. Es geht in erster Linie darum, den Verlust, so gut es geht, in das tägliche Leben zu integrieren.

Sie sagen, dass Kinder anders trauern als Erwachsene. Wie genau?

Erwachsene können sich oft nicht von bestimmten Erwartungen anderer Menschen befreien. Das betrifft sogar die Art, wie man trauert. Das kann Menschen so beeinflussen, dass sie denken, die ganze Zeit Schwarz tragen oder traurig gucken zu müssen. Darüber macht man sich als Erwachsener viel mehr Gedanken als ein Kind. Vor allem ganz junge Kinder sind noch sehr bei sich und haben sich noch nicht so viele Filter angeeignet.

Wie wirkt sich das aus?

Kinder sind spontaner. Obwohl man gerade die Nachricht bekommen hat, dass Opa tot oder Mama gestorben ist, hat man als Kind noch die Fußballverabredung im Kopf. Und weiß: Eigentlich muss ich in zehn Minuten los und habe jetzt keine Zeit für Trauer. Eine Trauerbegleiterin, mit der ich gesprochen habe, nannte das Pfützentrauern. Das bedeutet, Kinder springen in die Trauer rein wie in eine Pfütze. Aber sie springen da auch wieder raus, leben ihr normales Leben bis zur nächsten Pfütze. Wenn man das als Erwachsener nicht weiß, kann einen das sehr irritieren. Denn dann denkt man: Warum ist das Kind nicht traurig? Jetzt ist doch ein wichtiger Mensch gestorben. Wie kann er jetzt an Fußballspielen denken?

Sie erklären in Ihrem Buch Erwachsenen, wie Kinder trauern?

Nicht nur. Das Problem bei Trauer ist, dass E Erwachsene meist noch viel hilfloser sind als Kinder. Sie brauchen mehr Unterstützung und haben mehr Angst, sich mit diesem Thema zu beschäftigen, weil ihnen das eigene Ende viel näher ist als bei einem Kind. Das Nachdenken über Tod und das Ansprechen von Tod können sehr heftige Gefühle hervorrufen: Tränen, Wunden, die aufgerissen werden. Das kann dazu führen, dass man lieber nichts sagt. Das Buch soll dazu dienen, dass man auch vermeintlich schlimme Sachen an sich heranlässt, auch wenn man noch nicht in der Situation ist. Das Gefühl zu haben, zumindest schon einmal was darüber gelesen zu haben, ist gut.

Sie haben dafür eine ganz sachliche und klare Sprache gewählt. Warum?

Ich habe lange überlegt, was ich für ein Buch haben möchte. Toll hätte ich ein emotionales, mitreißendes Buch gefunden. Dann fiel mir auf: Wenn ich in der Situation stecke, ist ohnehin schon alles viel zu viel. Dann brauche ich nicht noch eine Sprache, die mich zum Weinen bringt, sondern ganz klar ist und mir im besten Fall ein paar Anweisungen geben kann. Ich habe an die Notfallkarten gedacht, die man im Flugzeug in der Sitztasche vor sich hat. So etwas wollte ich für Situationen haben, in denen man sich unsicher fühlt. Damit man schon mal gelesen hat, was man tun muss, wenn auf einmal die Sauerstoffmasken herunterfallen. Da passt eine klare, deutliche Sprache besser als eine blumige.

Was sagt man zu jemandem, der gerade einen Todesfall erlebt hat – und die Kehle wie zugeschnürt ist?

Dann drückt man seine Sprachlosigkeit aus und sagt genau das: „Ich bin sprachlos. Ich weiß nicht, was ich sagen soll.“ Das ist immer besser als nichts zu sagen und den Tod totzuschweigen. Das Anerkennen der Ausnahmesituation, die einen ratlos werden lässt, ist menschlich und hilft, eine Verbindung zum Hinterbliebenen herzustellen.

Nackte Todesnachrichten wie „Oma ist tot“ kommen vielen nicht über die Lippen. Sie sagen lieber, dass Oma an einem besseren Ort ist. Ist das gut?

Nein, denn dann will das Kind auch an diesen Ort, wenn er doch besser ist. Man sollte es auf jeden Fall lassen zu lügen und zum Beispiel zu behaupten, dass Papa eine sehr lange Reise macht. Denn für das Kind bedeutet das, dass Papa irgendwann wiederkommt oder man mit ihm telefonieren kann. Findet es aber heraus, was wirklich mit der langen Reise gemeint war, hat es nicht nur den Vater verloren, sondern auch das Vertrauen in den Menschen, der ihm nicht die Wahrheit gesagt hat. Man sollte Kinder auch nicht mit zu vielen Informationen zuschütten, sondern nur die Frage beantworten, die sie gestellt haben. Sie fragen nach, wenn sie mehr wissen wollen. Wissen sie genug, hören sie auf zu fragen. Sie haben einen guten Selbstschutzmechanismus. Das muss man akzeptieren.

Wenn ein lieber Mensch gestorben ist, warten manche auf den richtigen Zeitpunkt, um es ihrem Kind zu sagen. Wann könnte der denn sein?

Es gibt nie einen guten Zeitpunkt, eine Todesnachricht zu überbringen. Sie ist immer schlimm. Kinder merken außerdem, wenn etwas nicht stimmt. Sie haben sehr feine Antennen. Lieber ins kalte Wasser springen, so schrecklich das auch sein mag.

Das braucht Kraft und Mut der Erwachsenen. Sie sind ja auch in einer Ausnahmesituation.

Ja, aber wenn man das Gefühl hat, dass man das nicht alleine schafft, kann man sich Hilfe holen, zum Beispiel von Trauerbegleitern. Sich eine Schwäche einzugestehen, ist nichts Schlimmes.

Unser Buchtipp

Ralph Caspers ist Fernsehmoderator, Drehbuchautor und Schauspieler. Sein Buch ist 284 Seiten stark, erschienen im Verlag Bastei Lübbe und für 20 Euro erhältlich. Der Autor hat drei Kinder und lebt mit seiner Familie in Köln.

Ihr Buch ist voller Fragen und Antworten zum Thema Tod. Welche Botschaft liegt ihnen ganz besonders am Herzen?

Dass klar wird, dass kein Mensch so trauert wie der andere. Es ist relativ weitverbreitet, dass Kinder Rückschritte in ihrer Entwicklung machen. Es kann sogar passieren, dass Jugendliche ins Bett machen, was einen total erschrecken kann. Oder, dass Trauernde Dinge tun, die ziemlich ungesund sind. Bis zu einem gewissen Maß ist das auch in Ordnung. Wenn aber selbstzerstörerisches Verhalten, wie Ritzen oder Suizidgedanken überhandnehmen, sollte man sich professionelle Hilfe holen. Für die Freunde und Verwandten ist die wichtigste Botschaft: Es bringt nichts, zu sagen: „Ruf an, wenn du was brauchst.“ Das macht kein Trauernder. Hilfreich sind Sachen, die im Alltag unterstützen, damit die Struktur erhalten bleibt und nicht alles zusammenbricht. Suppe kochen zum Beispiel, oder das Kind zum Training mitnehmen, wenn man ohnehin unterwegs ist.

Wie können Eltern ihren Kindern in der Trauer beistehen?

Versuchen, Halt zu geben. Auch wenn es ins Gegenteil umschlägt und die Kinder mal Spaß haben wollen, ist das okay. Man muss ihnen kein schlechtes Gewissen machen. Trauern ist anstrengend. Manchmal braucht man eine Pause davon, um mal Luft zu holen. Es gibt eine Zeit, traurig zu sein, und es gibt eine Zeit, etwas Schönes zu machen. Auch wenn es schwer ist, aber das eigene Leben geht ja tatsächlich weiter.

Das Gespräch führte Susanne Plecher.

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