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Ein Kreuz steht auf dem Berg und die Sonne geht unter.
Manchmal gibt der Himmel ein kleines Zeichen und unsere Liebsten grüßen uns mit einem Lichtblick. Foto: StockAdobe/Thongchai

Bitte vergiss mich nicht!

Dresden – Für die Hinterbliebenen kann solch ein Vermächtnis den Abschied erleichtern – mitunter aber auch nur noch schwerer machen. Elli spricht in ihr Smartphone und filmt sich dabei. Sie will ihrem Mann Tobias letzte Instruktionen für den Kindergeburtstag geben. „Die Deko ist im Keller“ sagt Elli, „oberstes Regal ganz rechts. Aber nimm nicht die Girlanden mit den Minions. Und auf gar keinen Fall was mit Glitzer. Diesen Fehler dürfen wir wirklich nicht noch mal machen.“ Während sie spricht, sitzt sie am Steuer ihres Autos und fährt durch die Stadt.

So weit, so normal

Doch die Situation ist alles andere als normal. Tobias ist Witwer, seit ein paar Monaten schon. Elli ist an Krebs verstorben. Um ihrer Familie nach ihrem Tod Halt zu geben, hat die junge Frau Videobotschaften aufgezeichnet. Unzählige, für jede Lebenslage.

Erzählt wird diese Geschichte in der Mini-Serie „Nachricht von Mama“, die bei Sat.1 ausgestrahlt wurde. Es ist die Geschichte einer toten jungen Frau, die in ihrer Familie lebendig bleibt. Damit ist sie offenbar nicht allein: Auch im echten Leben wünschen sich immer mehr Menschen, die dem Tod ins Auge blicken müssen, noch etwas zu hinterlassen, das bleibt. So hat es jedenfalls Susanne Wiedemann beobachtet und daraus die Idee für ein Start-up entwickelt.

„Ähnlich wie in der Serie versenden wir im Auftrag der Versterbenden ihre Nachrichten, verwahren Briefe und Datenträger und stellen sie posthum zu“, erklärt die junge Unternehmerin aus München. Das Interesse sei groß. „Viele ältere oder kranke Menschen, die sich ihrer Sterblichkeit bewusst sind, wollen über ihren Tod hinaus wirken“, sagt Wiedemann.

Porträt von Susanne Wiedemann
Als Personal Memorial Managerin hilft Susanne Wiedemann bei allen Dingen, die mit der Erinnerung an einen lieben Menschen in Zusammenhang stehen. Foto: PR

Inspiriert wurde die 40-Jährige von einem persönlichen Schicksal. „Eine Freundin, die unheilbar erkrankt war, erzählte mir von ihrem Wunsch, Videonachrichten zu hinterlegen“, sagt Susanne Wiedemann. Erinnerungen an schöne Momente und gemeinsame Erlebnisse sollten Familie und Freunden helfen, trotz der Trauer in die Normalität zurückzukehren. Doch obwohl es ihr so wichtig gewesen sei, habe sie niemanden damit belasten wollen.

„Lange Zeit haben wir immer wieder darüber gesprochen, philosophiert, abgewogen, bis das Gründungsvorhaben konkret wurde“, erzählt Wiedemann. „Bei unserem letzten persönlichen Treffen sagte sie mir dann, dass sie von der Idee überzeugt sei. Damals gab es so was ja auch noch nicht.“ Es entstand daraus das, was Susanne Wiedemann Personal Memorial Management nennt.

Nachricht über den Tod hinaus

Überdimensionale Bauwerke, pompöse Grabstätten – schon vor Hunderten von Jahren verspürten Menschen den Wunsch, etwas für ihre Nachwelt zu hinterlassen. Daran hat sich nicht viel geändert. „Auch, wenn viele das vielleicht nicht so wahrnehmen, wünschen sie sich ein Vermächtnis“, sagt Wiedemann.

Online-Tool für Nachrichten

Was ist, wenn sich bald niemand mehr an mich erinnert? Geht alles weiter, als wäre ich nie da gewesen? Diesen Fragen begegnet auch Silvia Mader immer wieder. Als Traumaberaterin und Trauerbegleiterin spricht sie regelmäßig mit Menschen, die ihre Eltern, Kinder oder Freunde verloren haben, aber auch mit Menschen, die dem Tode geweiht sind. „Ich spüre oft eine große Hilflosigkeit, mit dem Thema Verlust und Schmerz umzugehen“, sagt die gebürtige Bayerin, die 27 Jahre in Dresden gelebt und dort die Beratungsstelle der Opferhilfe Sachsen mit aufgebaut hat.

Hin und wieder kehrt sie heute an die Elbe zurück und bildet am St. Josephstift Hospizbegleiter aus. „Es kommt vor, dass junge Frauen, die an Krebs erkrankt sind, Sprachnachrichten für ihre kleinen Kinder aufnehmen“, sagt Mader. „Das finde ich auch sinnvoll, denn so können die Mädchen und Jungs, die keine Erinnerungen mehr an ihre Mutter haben werden, später diese Stimme noch einmal hören. Das kann tröstlich sein.“ Andere würden lieber Briefe schreiben.

Susanne Wiedemann bietet Menschen, die eine Abschiedsnachricht hinterlassen möchten, auf ihrer Website ein Online-Tool. Wer seine Zeilen dort eingibt, kann sie als Brief gedruckt zu einem gewünschten Termin per Post versenden lassen – das kann der 18. Geburtstag des Kindes sein, ein besonderes Jubiläum, der Hochzeitstag oder das Weihnachtsfest. Bis zu fünf Jahre in die Zukunft ist das möglich. Wer es persönlicher mag, kann auch einen selbst geschriebenen Brief aufbewahren lassen. Unterstützung gibt es außerdem bei Videobotschaften.

Der Gedanke, einige Worte für die Zeit nach dem Tod zu hinterlassen, klingt tröstlich. Sterbende sollten sich aber auch ihrer Verantwortung bewusst sein. Denn sie können ihre Angehörigen damit auch überfordern. „Die Frage ist doch: Ist es nicht besser, alle wichtigen Dinge in der Gegenwart, also so lange man noch lebt, auszusprechen?“, fragt Mader. Manchmal sei es tatsächlich nicht mehr möglich, sich noch einmal auszutauschen oder sich ein Geheimnis anzuvertrauen. „Wenn aber jemand solch einen Brief erhält, wie soll er mit diesem Vermächtnis umgehen? Er hat ja gar kein Gegenüber mehr, mit dem er das besprechen kann.“

Auch Susanne Wiedemann und ihre Freundin haben diese Gedanken vor der Unternehmensgründung umgetrieben. „Wir waren jedoch schließlich überzeugt, dass sich die hinterbliebenen Menschen freuen würden, noch einmal von ihren Liebsten zu hören“, sagt die Münchnerin.

Die letzte Botschaft

Und was kann passieren, wenn jemand aus Verzweiflung oder Groll heraus so eine letzte Botschaft verfasst? „Das sollte man sich verkneifen, da das Hinterbliebene tief treffen kann“, sagt Mader. Schließlich wisse man ja gar nicht, in welcher Situation sie diese Nachricht erreiche. „Im schlimmsten Fall wühlt es vieles wieder auf. Wer zurückbleibt, entwickelt sich ja weiter, findet wieder zurück ins Leben. Manchmal eröffnet Trauer sogar neue Wege“, sagt Mader.

Wer sich für eine letzte persönliche Botschaft entscheidet, sollte sich das also genau überlegen – und sich auch die Frage stellen: Könnten meine Worte meine Familie sogar quälen? „Die Nachricht sollte in keinem Fall offene Fragen hinterlassen oder etwas andeuten“, sagt Andreas Müller vom Landesverband für Hospizarbeit und Palliativmedizin. „Denn es ist normal, dass man bei geschriebenen Worten versucht, etwas hineinzuinterpretieren, was aber vielleicht gar nicht so gemeint ist.“ Seiner Ansicht nach sei es Aufgabe von Sterbebegleitern und Hospizhelfern, sterbende Menschen in die Lage zu versetzen, noch einmal mit ihren Angehörigen ins Gespräch zu kommen. „Im Hier und Jetzt reden, ist immer der beste Weg“, sagt Müller.

Susanne Wiedemann weiß nicht, was in den Briefen steht, die sie aufbewahrt und posthum verschickt. Alles werde vertraulich behandelt. „Erfahrungsgemäß möchten die meisten das ausdrücken, wozu sie zu Lebzeiten einfach nicht in der Lage waren“, sagt Wiedemann. „Sicher ist ein Aussprechen zu Lebzeiten besser, aber manche können das einfach nicht.“

Der Schlusspunkt

Für Silvia Mader hat der Tod aber auch etwas Endgültiges. „Irgendwann ist einfach mal Schluss. Diese Grenze sollten wir Menschen akzeptieren“, sagt sie. Trauer brauche auch immer wieder Abschlüsse – das weiß sie aus eigener Erfahrung. Die 58-Jährige hat ihre Schwester verloren, als diese beim Wandern in den Allgäuer Bergen abgestürzt ist. „Als ich ihre Tagebücher gefunden habe, habe ich mich gefragt: Möchte ich das jetzt lesen, möchte ich das alles wissen?“ Am Ende habe sie sich dagegen entschieden und die Tagebücher ihrer Schwester mit ins Grab gegeben. „Heute bin ich froh darüber“, sagt Mader. Sie fühle sich allein durch die Erinnerungen noch immer eng mit ihrer Schwester verbunden.

Wünsche sterbenskranker Menschen umzusetzen, schafft Susanne Wiedemann allerdings nicht nur mit dem Versand von Abschiedsnachrichten. Mit ihrer Ausbildung als Hochzeitsplanerin an der Europäischen Medien- und Event-Akademie in Baden-Baden hat sie Erfahrungen darin, außergewöhnliche Feiern zu organisieren. Trauerfeiern genauso wie Lebensfeste, auf denen man noch einmal schöne Stunden mit all den Menschen verleben kann, die einem am Herzen liegen. Wiedemann erinnert sich zum Beispiel an eine Segelregatta am Wörthersee, die sie auf Wunsch eines älteren, segelbegeisterten Herren auf die Beine gestellt hat.

„Wer eine solche Überraschung plant, braucht einen Verbündeten. Ich finde es schön, dabei zu helfen, die Ideen von Menschen umzusetzen“, sagt Susanne Wiedemann. Oft seien die Angehörigen in ihrer Trauer gefangen und wären überfordert. Auch ihre verstorbene Freundin hatte genaue Vorstellungen von ihrem Abschied. Doch niemand half ihr, sie wahr zu machen. „Der Tod ist ein großes Mysterium, es entkommt ihm niemand. Warum also nicht die Möglichkeit nutzen, ein kleines Denkmal zu setzen?“

Ob es nun unzählige Videobotschaften wie bei Elli in der Fernsehserie sind, eine große Fete oder eine leise, letzte Botschaft, ein selbst gebasteltes Fotoalbum oder ein Baum, der zur Erinnerung gepflanzt wird – vielen Menschen spendet ein letztes Zeichen des Verstorbenen Trost. Silvia Mader erlebt dies auf ihre ganz eigene Weise. Ein paar Mal im Jahr strahlt die Sonne ganz speziell auf den Berg, an dem ihre Schwester damals gestorben ist. „Wenn das Gipfelkreuz dann blinkt, denke ich immer: Jetzt grüßt sie mich.“

Kornelia Noack

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