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Dame steht im Zimmer mit Rollator.
Im Frühjahr zog Rosemarie John in das Dresdner Pflegeheim "Am Gorbitzer Hang" ihr Zuhause gefunden. Foto: Sven Ellger

Rosemaries erster & letzter Umzug

Dresden – Dieses Gekritzel ärgert sie. Seitdem sich Rosemarie John bei einem Sturz zu Hause die Hand gebrochen hat, gehorcht sie ihr nicht mehr so, wie sie sollte. Dabei war die 81-Jährige doch immer so stolz auf ihre schnelle und sichere Handschrift. Mehr noch: Ihre Schrift war lange Zeit ihr wichtigstes Kapital.

Die Stenografie-Zeichen hat sie auch heute noch im Kopf, aber für wen sollte sie jetzt noch stenografieren? Seit Kurzem ist das Seniorenheim „Am Gorbitzer Hang“ im Dresdner Westen ihr neues Zuhause. Die Einrichtung wird durch den Arbeiter-Samariter-Bund getragen und hat schon auf den ersten Blick eine Menge zu bieten: Arztpraxis, Physiotherapie, Fußpflege, Friseur und sogar ein kleinen Kiosk sind direkt vor Ort. Im hauseigenen Park können unter anderem die Schildkröte Kurt und die Ziegen Anna, Bert und Carl besucht werden.

Rosemarie John ist als junge Stenotypistein bei der Arbeit.
Als Chefsekretärin im Radeberger Krankenhaus machte sich Rosemarie John über Jahrzehnte unverzichtbar. Foto: privat

Wenn das Coronavirus es zulässt, gibt es im Heim fast immer was zu Feiern: Fasching, Ostern, Sommerfest. Sogar ein Weihnachtsmarkt mit Buden ist Tradition. Das klingt doch nach viel Spaß. Kein Wunder, dass die Warteliste für eines der 243 Einzelzimmer mit Dusche und WC lang ist.

Rosemarie John weiß all das zu schätzen. „Ich kann mich überhaupt nicht beklagen“, sagt sie mehr als einmal, damit daran erst gar keine Zweifel aufkommen. Von ihrem Stuhl am Tisch sind es nur zwei Meter zum Bett und vielleicht drei ins Badezimmer.

„Früher habe ich viel Zeit im Wald vermurkst“, formuliert sie in ihrer typisch trockenen Art. Diese herrliche Luft, da waren andere Dinge nicht mehr wichtig. Inzwischen ist an Ausflüge in den Wald aber leider nicht mehr zu denken, geschweige denn an ausgedehnte Wanderungen. Die Hüfte macht Probleme. Von einer Operation raten ihr die Ärzte ab, also muss es so gehen. Ihre geliebten Bäume kommen wohl auch ohne sie klar. „Ich träume nur noch von Erinnerungen.“

An der Wand im Zimmer hängt ein gerahmter Spruch über „Doktor Wald“, der alles heilt, ganze ohne Medizin. Wenn es nur so einfach wäre.

„Unschuld vom Lande“: Rosemarie John wuchs in Leppersdorf auf und blieb dem Ort bis zuletzt treu. Foto: privat

Es ist noch nicht allzu lange her, da kam ein Leben im Seniorenheim für Rosemarie John nicht infrage. Ihr ganzes Leben hat sie in einem historischen Bauernhaus in Leppersdorf, einem Ortsteil von Wachau im Landkreis Bautzen, verbracht. Hier machte sie ihre ersten Schritte, hier wuchs sie auf, hier lebte sie mit ihrem Mann Manfred und hier wurde sie alt.

„Da hat man schon eine Menge erlebt“, sagt Rosemarie John und verharrt für einen Moment stumm. Dann fällt ihr zuerst das Hochwasser von 2002 ein. Wer damals ins Haus wollte, der habe bis über die Knie im Wasser gestanden. „Eine Katastrophe, aber wir sind wieder getrocknet.“

2005 verstarb ihr Mann Manfred, ein früherer Baumaschinist. Die letzten drei Jahre hatte sie ihn Tag und Nacht gepflegt. Verantwortlich für den Erhalt des Hauses war zu diesem Zeitpunkt längst ihr Sohn Rainer. „Er hat da viel Herzblut hineingesteckt und sich eine eigene Autowerkstatt angebaut.“

Sie selbst wohnte bis vor Kurzem noch in einer Wohnung im Haus mit Küche, Schlaf- und Wohnzimmer. Insgesamt um die 30 Quadratmeter auf zwei Etagen. Seit 1998 gab es auch oben ein Bad und eine Dusche mit flachem Einstieg. „Das war schon alles wohlbedacht beim Umbau.“ Im Wohnzimmer steht bis heute ein Sessel mit Aufstehhilfe, der für ihren Mann angeschafft wurde.

Türbild mit Mohn auf blauem Untergrund.
Hinter dieser Tür beginnt das neue Reich von Rosemarie John. Foto: Sven Ellger

Allerdings ist Rosemarie John nur noch selten hier. „Das wühlt mich immer so auf“, sagt sie. Dafür reiche es schon, wenn die Katze ihr zur Begrüßung um die Beine streiche. Im Seniorenheim trifft sie nun manchmal Kater Flecki.

Mit dem Fahrstuhl für den Wohnbereich B geht es hoch in den sechsten Stock. Das getöpferte Schild neben Zimmer Nummer 7 ziert eine Mohnblume. Hinter der Tür beginnt ihr kleines Reich. Rosemarie John ist hier eingezogen, nachdem sie das Seniorenheim in den Wochen zuvor schon in der Kurzzeitpflege kennengelernt hatte.

Sie ist sich bewusst, dass das vermutlich der erste und der letzte Umzug ihres Lebens war. Die Entscheidung für ein Seniorenheim ist ein Abschluss von ungewisser Dauer. Wie müssen sich die Dinge im Leben zusammenfügen, um für sich selbst, die Mutter oder den Vater diese Entscheidung zu treffen?

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Das Leben im Pflegeheim ist kein Verharren im Wartestand. Es läuft in genauso unruhigen und unvorhersehbaren Bahnen wie all die Jahre zuvor. Der eine blüht noch einmal auf und kann die Tage und Wochen in ganz anderer Weise genießen. Der andere findet nie so recht seinen Frieden mit diesem Schritt und seinen Konsequenzen.

Henry Berndt

SZ-Lebensbegleiter Tipp:

Rosemarie John ist jetzt ein Teil dieses Mikrokosmos. In den kommenden Wochen wollen wir sie begleiten, ihre Ängste, Hoffnungen und Pläne kennenlernen, aber auch ihre Geschichte, die sie nach acht Jahrzehnten hierhergeführt hat, in das ASB-Seniorenheim „Am Gorbitzer Hang“.

Seien Sie neugierig auf die nächsten Geschichten, die wir fortlaufend an jedem Donnerstag veröffentlichen werden.

Teil 2: „Ich wollte immer in die Stadt“

Teil 3:  „Zu Hause wäre ich nur eine Last“

Teil 4: „Spagat wäre nicht zu stemmen“

Teil 5:  „Der letzte Umzug ist ein großer Schritt“

Teil 6: „Genieße es, mal rauszukommen“

Teil 7: „Macht euch um mich keine Sorgen“

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