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Wenn Ärzte nichts finden

Im Gedankenkarussell - bin ich ein hoffnungsloser Fall? Foto: drubig-photo

Wenn der Rücken schmerzt, könnten die Bandscheiben hinüber sein. Wenn das Herz aus dem Takt gerät, wäre eine Blutdruckmessung angeraten. Was aber, wenn die Untersuchungen „ohne Befund“ enden? Genau um solche Patienten kümmert sich Dr. Alexander Kugelstadt. Der Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie erklärt in seinem neuen Buch das vergleichsweise neue Forschungsgebiet. 

Herr Dr. Kugelstadt, sind Sie der Mann für „hoffnungslose Fälle“?

Wenn Sie die Schablone der Körpermedizin anlegen, mag der Begriff zutreffen. Wenn ich mir diese sogenannten hoffnungslosen Fälle anschaue, dann zeigt sich jedoch oft und schnell Hoffnung.

Was machen Sie anders?

Die Psychosomatik betrachtet Körper und Seele mit ihren Wechselwirkungen. Die Psyche löst körperliche Beschwerden aus oder verstärkt sie, der Körper wirkt sich auf die Psyche aus.

Und das hat sich noch nicht unter allen Medizinern herumgesprochen?

In den letzten zehn, 15 Jahren hat sich viel getan. Wir veranstalten Weiterbildungen, das Interesse wächst. Es gibt immer mehr Hausärzte, die auch auf die Beziehung zu ihren Patienten achten. Aber ja, es gibt auch Hausärzte, die dazu keinen Zugang finden. Oft fehlt ihnen die Zeit. Das ist bei uns zum Glück anders. Wir haben bereits für das erste Gespräch eine knappe Stunde.

Wie oft kommt es vor, dass Hausärzte keine körperlichen Ursachen für das Leiden ihrer Patienten finden?

Gar nicht so selten. Untersuchungen nennen Zahlen von 25 bis 50 Prozent, in einer Befragung waren es sogar über 70 Prozent.

Worüber klagen Ihre Patienten am häufigsten?

Rückenschmerzen, Bauchweh, Übelkeit, Verdauungsstörungen, Durchfall, Herzrasen, Schwindel, Schlafprobleme – ein großes Spektrum.

Könnte es sein, dass sich dahinter auch Simulanten verbergen?

Die gibt es auch, aber man erkennt sie schnell. Sie erwarten ja keine Heilung, sondern verfolgen mit dem Simulieren ein Ziel, etwa einen Beweis für ein Gerichtsverfahren oder eine Begründung für eine frühere Rente. In der großen Mehrzahl haben wir es mit Menschen zu tun, die tatsächlich unter körperlichen Symptomen leiden.

Wie läuft bei Ihnen die erste Sprechstunde ab?

Die Arzthelferin bittet den Patienten, einen Fragebogen auszufüllen. Da geht es um alle möglichen Beschwerden, auch um die soziale Situation. Anschließend lasse ich es mir noch einmal aus der subjektiven Perspektive schildern, frage auch nach eigenen Erklärungen für die Beschwerden. Ich schaue mir die körperlichen Befunde an; mitunter fehlt eine wichtige Diagnostik. Ich mache mir ein Bild über den Lebensalltag des Patienten: die Arbeit, die Partnerschaft, die Wohnung, Hobbys. Eine entscheidende Frage bei der Suche nach dem Auslöser der Beschwerden ist auch, wann diese begonnen haben. Häufig liegen die Ursachen aber viel weiter zurück.

Gibt es Erklärungsmuster für bestimmte Symptome?

Bis in die 1980er-Jahre dachte man das wirklich. Da brachte man Rückenschmerzen in Zusammenhang mit fehlender Aufrichtigkeit. Oder Gallenbeschwerden mit Ärger. Heute weiß man, dass es diese festgelegten inneren Konfliktmuster nicht gibt. Jedem Fall liegt stets eine individuelle Lebensgeschichte zugrunde.

Bleiben wir bei den Rückenschmerzen. Wenn das Röntgenbild keine Auffälligkeiten zeigt – was kann Ursache sein?

Ich kenne einen Fall, da hatte die Mutter der Patientin sehr früh einen Bandscheibenvorfall. Die Tochter erlebte, wie sich die Mutter wegen der Schmerzen häufig zurückzog. Das kann die Tochter ein Leben lang prägen: Bei starker Belastung empfindet auch sie Rückenschmerz. Aber es ist nur die Erklärung für einen Fall.

Welche Rolle spielt Stress?

Er soll ja nicht grundsätzlich ungesund sein. Richtig. Unter Stress kann man zu Höchstform auflaufen und Herausforderungen meistern. Stress wird dann zum Problem, wenn er zum Dauerzustand wird. Dann erzwingt sich der Körper die Ruhepause – wir kennen es als Erschöpfung oder Burn-out.

Können Gedanken krank machen?

Ja. Wenn man durch bestimmte Erlebnisse und Prägungen immer negativ denkt, ändern sich auch das Verhalten und die Körperfunktionen. Der Körper befindet sich in Alarmfunktion – mit seelischen und körperlichen Folgen.

Und umgekehrt: Können Gedanken auch heilen?

Gedanken sind oft der Beginn einer Veränderung. Wir können sie bewusst steuern, anders als Gefühle und viele Körperfunktionen. Es ist erstaunlich, wie das Erkennen und die Überwindung negativer Gedanken über uns die Gesundheit fördern.


Buchtipp


Wenn Ärzte nichts finden
Das Buch ist im Mosaik Verlag erschienen, 398 Seiten stark und kostet 16 Euro.
Dr. Alexander Kugelstadt
Dr. Alexander Kugelstadt (39) ist als Facharzt am Institut für psychogene Erkrankungen der AOK in Berlin tätig. Foto: Fräulein Fotograf

In Ihrem Buch schreiben Sie, dass Kindheitserlebnisse – ja sogar schon die Zeit im Bauch der Mutter – für Erkrankungen im Erwachsenenalter verantwortlich sein können. Gibt es dafür Belege?

Das Thema gibt es seit Sigmund Freud, Hirnforscher haben seitdem viel zum Wissenszuwachs beigetragen. Die bekannteste Untersuchung ist die ACE-Studie. Sie hat eindeutig nachgewiesen: Je mehr negative Erlebnisse ein Mensch im Kindesalter hat – Misshandlungen, Vernachlässigung, Trennung der Eltern –, desto größer ist sein Risiko für körperliche Erkrankungen im Erwachsenenalter. Das zeigt, wie wichtig es ist, auf das Kindeswohl, auf die Behütung und Bildung der Jüngsten, zu achten.

Die Corona-Pandemie scheint dabei nicht gerade förderlich zu wirken.

Es gibt bereits Untersuchungen, die über psychische Veränderungen bei jedem dritten Kind zwischen sieben und 17 Jahren berichten. Das bereitet mir große Sorge.

Genesene Covid-Patienten klagen häufig über Müdigkeit und Antriebslosigkeit. Auch ein Fall für Ärzte wie Sie?

Wir kennen das auch von anderen Infektionen, etwa nach einer Grippe oder Gürtelrose. Das kann eine Folge der Entzündungsprozesse sein. Gleichzeitig spielen psychische Ursachen eine Rolle – etwa ein Erlebnis der Schwächung, das man nicht verarbeitet hat.

Können Sie allen Patienten helfen?

Leider nein. Nicht alle Patienten können sich öffnen, es gibt ja auch schmerzhafte und peinliche Momente, an die sich manche gar nicht erinnern wollen. Wenn die Chemie zwischen Arzt und Patient nicht stimmt, hilft es mitunter, wenn ich einen anderen Kollegen empfehle. Und jeder sollte wissen, dass er selbst eine Menge für sich tun kann. Überlegen Sie einfach mal zehn Minuten lang, ob Sie sich selbst oft genug respektvoll und wertschätzend behandeln. Seien Sie sich ein guter Freund.

Das Gespräch führte Steffen Klameth.

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