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Verliebtes Paar hohen Alters auf Sofa
Dauerhaft verlobt: Wolfgang Bay und Sigrid Stark verbindet im Seniorenheim Abendfrieden in Niesky längst nicht mehr nur das Rommé-Spiel. Foto: Jürgen Lösel © Jürgen Lösel

Verliebt wie Teenager

NIESKY – Als Sigrid ins Pflegeheim zog, hatte sie mit Männern abgeschlossen. Doch dann traf sie Wolfgang und verliebte sich noch einmal. Ein Glück, das auch andere erleben.
Schwungvoll drückt sie sich aus ihrem Stuhl, kommt näher, beugt sich langsam nach vorn und flüstert ein Geheimnis ins Ohr. Ihr echtes Alter. Wolfgang soll das nicht erfahren, sagt Sigrid Stark. „Er schätzt mich immer jünger, und das soll auch so bleiben.“
Vom Valentinstag haben die beiden schon mal gehört, aber so was brauchen sie nicht, um sich aneinander zu erfreuen. Fast gleichzeitig zogen sie 2021 ins Seniorenheim Abendfrieden in Niesky, das zur Diakonissenanstalt Emmaus gehört. Das frühere Krankenhaus der Stadt ist ein prachtvoller Bau mit leuchtendgelber Fassade. Auf vier Etagen leben dort heute 93 Bewohnerinnen und Bewohner in Einzel- und Doppelzimmern.
Sigrid und Wolfgang haben ihre Zimmer im selben Wohnbereich im zweiten Stock. Nur ein langer Gang trennt die beiden. Sigrid stammt aus Mühlhausen in Thüringen und zog einst für ihren früheren Mann nach Sachsen. 30 Jahre lang arbeitete sie als Kellnerin im Stadtcafé. Wolfgang Bay ist in Niesky geboren und brachte es bei der Polizei bis zum Oberstleutnant.
Ihre Beziehung im Seniorenheim beginnt vor drei Jahren mit einer Runde Rommé. Sigrid spielt damals regelmäßig mit einigen Frauen, die inzwischen verstorben sind. Über eine Pflegerin lässt Wolfgang anfragen, ob er denn nicht auch mal mitspielen könne. Er darf und findet schnell Gefallen an dieser einen Mitspielerin mit dem wallenden silbergrauen Haar. Auch sie wirft ein Auge auf ihn. Dabei wollte sie nach dem Tod ihres Mannes doch eigentlich nichts mehr von Männern wissen. Bevor er im vergangenen Jahr einschlief, war er jahrelang ein Pflegefall gewesen.
Sigrid und Wolfgang spielen nun immer häufiger, sie fährt ihn im Rollstuhl im Hof spazieren – und irgendwann geben sie sich das erste Küsschen. „Dann ist daraus Liebe geworden“, sagt Sigrid. „Das hat sich einfach gut und richtig angefühlt. Seitdem sagen wir, wir sind verlobt.“ Da müssen beide lachen. Heiraten komme aber nicht mehr infrage, stellen sie klar.
Ein Tag gleicht in dieser Welt weitgehend dem anderen. Und so mögen sie es. 9 Uhr Frühstück, dann gemütliche Zeitungsschau im Gruppenraum. Nach dem Mittagessen macht Wolfgang sein Schläfchen, und gegen 14 Uhr treffen sie sich wieder, zum Beispiel auf ein Spielchen. Andere wollen sie inzwischen nicht mehr dabeihaben. Meist spielen sie bei Wolfgang, denn der hat ein Einzelzimmer.
Auf seinem Nachttisch steht neben einem Plüschrentier mit Holzkopf ein gerahmtes Foto, das Sigrid als junge Frau im kecken kurzen Kleid zeigt. Schon damals legte sie offensichtlich großen Wert auf eine voluminöse Haarpracht. Bei Sigrid auf dem Nachttisch steht unterdessen Roy Black, aber Eifersucht ist Wolfgang fremd.
Was sie an ihm schätzt? Dass er ehrlich und lieb ist, also meistens. Natürlich gebe es manchmal auch kleine Differenzen. Das gehöre doch dazu. Zum Beispiel, wenn er mal wieder seinen Sport im Fernsehen sehen will, mit dem sie nun so gar nichts anfangen kann. Was er an ihr liebt? „Alles“, sagt er nur, und Sigrid ergänzt wissend: „Er ist froh, dass er mich hat.“
Dass in sächsischen Seniorenheimen noch mal eine neue Liebe wächst, kommt immer mal wieder vor. „Vom Flirt über ein Techtelmechtel bis zur Hochzeit gibt es da alle Varianten“, sagt Vanessa del Rae. Die frühere Krankenschwester und Heimleiterin hat das Buch „Sex Deluxe – Sinnlich älter werden“ geschrieben. Heute bietet sie Coachings zu diesem Thema an – auch für Pflegekräfte in Seniorenheimen.
Leider seien Partnerschaft und vor allem Sexualität im Alter bei uns immer noch ein Tabuthema, mit dem nur wenige Einrichtungen und Pflegende offenumgehen könnten, sagt sie. „Oft wird das belächelt und nicht richtig ernst genommen.“ Dabei seien Gefühle nichts, was irgendwann einfach aufhört.
In Doppelzimmern gebe es oft gar keinen Ort für Intimität. Das sei ein riesiges Problem. Manchmal helfe es da nur, die Mitbewohner mal zum Kaffee trinken zuschicken. Eine Art Sexualbeauftragter in den Heimen könne helfen, indem er beispielsweise einen geschützten Raum zur Verfügung stellt oder Hilfsmittel besorgt. Was manche nicht glauben können oder wollen, bringt sie auf den Punkt: „Verliebtsein fühlt sich in jedem Alter gleich an. Da benehmen sich auch 80-Jährige wieder wie Teenager.“ Gerade im Alter, nach dem Verlust eines langjährigen Partners, empfänden es nicht wenige als großes Glück, noch einmal einen neuen Menschen an ihrer Seite zu wissen.

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So wie Ruth Neimke und Wilfried Geier, die im betreuten Wohnen des DRK in Crimmitschau zusammengefunden haben. „Ich bin nach dem Tod meiner Frau2017 aus Greiz hierhergezogen. Wir waren 58 Jahre verheiratet, und ich habe es allein zu Hause nicht mehr ausgehalten“, erinnert sich der 87-Jährige. Früher hat er sein Geld als Schlosser verdient. Inzwischen hat er vier Enkel und vier Urenkel. „Zu Hause fällt einem irgendwann das Dach auf den Kopf. Wir sind ebengesellige Wesen.“
Ruth ist 92 Jahre alt und war früher Schneiderin. Sie stammt aus der kleinen Gemeinde Nieschwitz an der sächsisch-thüringischen Landesgrenze und zog 2021 in den Wohnpark Crimmitschau. Ihren Wilfried lernte sie beim Mittagessen kennen. Dass da mehr als nur Sympathie war, war schnell klar.

Verliebtes Paar hohen Alters beim Wassertreten
Ruth Neimke und Wilfried Geier
Foto: privat

Seitdem teilen sie den Alltag, trotz getrennter Wohnungen. „Wir ergänzen uns ideal“, sagt Ruth. Auf dem gemeinsamen Programm stehen Spaziergänge, Ausflüge und Seniorenfasching. „Ich möchte mich nicht ausschließen, sondern mit anderen kommunizieren und mich austauschen.“ Wilfried ergänzt grinsend: „Und mich muss man immer ein bisschen hinterherprügeln.“ Am Abend sitze dann jeder wieder vor seinem eigenen Fernseher.

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Verliebtes Paar hohen Alters auf Sofa
Ilse Thiel und Jürgen Farber
Foto: SZ/Henry Berndt

Im „Haus an der Leisnitz“ in Freital haben sich vor vier Jahren Ilse Thiel und Jürgen Farber im betreuten Wohnen getroffen. Ihre Romanze begann ganz altmodisch mit einer Rose samt Karte an der Türklinke. „Frau Thiel, ich glaube, Sie haben einen Verehrer“, sagte der Pflegedienstleiter am Morgen. Und genauso war es. „Zum ersten Mal haben wir uns im Fahrstuhl getroffen“, erinnert sich der 88-jährige Jürgen. „Ich war zu schüchtern, um sie direktanzusprechen.“

Sein Blumengruß kam bei Ilse gut an. Sie trafen sich jetzt immer häufiger, die Chemie stimmte. Sie aßen zusammen, spielten Karten, genossen die Luft in der hauseigenen Salzgrotte. Vor dem Fernseher auf Ilses Sofa gab es dann bei einer Flasche Wein ein Küsschen, und es wurde ein bisschen gekuschelt – „dem Alter entsprechend“, wie es Ilse formuliert.
38 Jahre lang war sie zuvor verheiratet gewesen, Jürgen fast 60 Jahre. Eigentlich hatte er geplant, mit seiner damaligen Frau in der Wohnung zu leben, in der er nun jeden Tag seine Ilse besucht. Doch die Ehefrau starb kurz nach dem Einzug. „Unser Leben davor war auch toll, aber jetzt hat ein neuer Abschnitt begonnen“, sagt er und strahlt Ilse mit leuchtenden Augen an. „Ich möchte sie nicht mehr misse
Wenn Jürgen von seinen Kindern oder Enkeln abgeholt wird, dann kommt die 84-Jährige selbstverständlich mit. Auch Weihnachten feiern sie gemeinsam in Familie. „Wir verbringen fast den ganzen Tag zusammen“, sagt sie. Erst abends fährt Jürgen mit dem Fahrstuhl eine Etage nach unten in seine eigene Wohnung – voller Vorfreude auf den nächsten Tag.

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Die Liebe kennt kein Alter – und auch mit 96 Jahren darf man sich noch einmal an der Seite eines neuen Partners geborgen fühlen. So wie Marga aus Leipzig, die in der Senioren-Residenz „An der Weißen Elster“ im vergangenen Jahr ebenfalls einen Jürgen kennenlernte. Im Speisesaal saßen sie zufällig nebeneinander und sprachen über die Themen des Tages aus der Zeitung. Wenig später gingen sie schon im Garten spazieren, besuchten den Weihnachtsmarkt und das Gewandhaus.

Selbstverständlich war das alles für Marga nicht. Nach fast 60 Jahren Ehe ist sie schon seit 20 Jahren Witwe und hatte sich in ihrem Leben allein eingerichtet. Inzwischen erfreut sie sich dennoch daran, weniger allein zu sein und in Jürgen einen „guten Freund im Alter“ gefunden zu haben.

Verliebtes Paar hohen Alters auf Terasse
Marga und Jürgen (84)
Foto: privat

In Niesky hat Wolfgang in den vergangenen Monaten gesundheitlich ziemlich schnell abgebaut. Oft starrt er ins Leere, kann nur noch schwer und leise sprechen. Manchmal nennt er seine Sigrid Margitta, so wie seine frühere Frau. Dann ist Sigrid zunächst einmal sauer. Lange übelnehmen kann sie ihrem Wolfgang den Fauxpas aber nicht. „Viele können das nicht verstehen, aber ich bleibe bei ihm“, sagt sie. Was soll’s, auch Sigrid kann nicht immer all ihre Gedanken sortieren. Beispielsweise will sie gern wetten, dass ihr Seniorenheim in Weißwasser steht. Wolfgang protestiert vorsichtig, aber Sigrid lässt sich nichts sagen.
Beim Rommé gewinnt meistens sie. „Da brennt dann die Luft“, witzelt Sigrid, „aber geschummelt wird nicht! Da passt er genau auf“.

© Vom Flirt über ein Techtelmechtel bis zur Hochzeit gibt es da alle Varianten.
Vanessa del Rae, Buchautorin

Henry Berndt

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