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Neu: mobile Schuldnerberatungsstellen in Sachsen

Ein roter Rettungsring liegt in einem kristallklaren Pool.
Für viele Bedürftige ist die kostenfreie und aufsuchende Schuldnerberatung wie ein Rettungsring. Foto: AdobeStock/Jenny Sturm

Sachsen – Etwa sieben Millionen Menschen in Deutschland sind überschuldet. Einen Ausweg bieten Beratungsstellen. Doch Unkenntnis über diese Möglichkeiten oder die schwierige Erreichbarkeit, auch aufgrund von Möbilitätseinschränkungen, sind bedeutende Hürden.

Was sind die Hauptursachen für eine finanzielle Schieflage? Viele Privathaushalte gelten dann als überschuldet, wenn das Einkommen nicht ausreicht, um die Lebenshaltungskosten und Rechnungen zu begleichen. Gründe hierfür gibt es viele: Tod des Lebenspartners, geringe (Grund-) Rente, Krankheit oder Arbeitslosigkeit. Auch wer sein Leben lang gearbeitet hat, kann betroffen sein. Eine Situation, die viele Menschen verzweifeln lässt. Doch eine professionelle Schuldnerberatung hilft!

Wer nicht zur Beratung kommen kann, wird besucht

Bereits im Februar berichteten wir in unserem Beitrag „Neues Modellprojekt für Sachsen“ über das Konzept zur „aufsuchenden Schuldnerberatung“, das die Diakonie Deutschland zusammen mit weiteren Wohlfahrtsverbänden entwickelt hat. Unterstützt wird es mit Fördermitteln des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV). In Sachsen sind im Juli nicht nur zwei weitere Beratungsstellen gestartet, sondern vor allem eine mobile Beratung für Senioren, eine sogenannte ‚aufsuchende Beratungsarbeit‘: Eine befindet sich im Diakonischen Werk im Kirchenbezirk Löbau-Zittau, die andere hat ihren Sitz in Leipzig. Was leisten sie für Senioren?

Über Geld spricht man doch

Die Kirchliche Erwerbsloseninitiative Leipzig berät seit 2006 Ratsuchende im Rahmen der Sozialen Schuldnerberatung. Das am 1. Juli gestartete neue Projekt der „aufsuchenden Schuldnerberatung für Senioren“ leistet zusätzliche Unterstützung. „Mit dem neuen Projekt haben wir endlich die Möglichkeit, unser Beratungsangebot um den ‚aufsuchenden Aspekt‘ zu erweitern“, sagt Marco Ringeis, Geschäftsführer der Kirchlichen Erwerbsloseninitiative Leipzig. „Ziel wird es sein, Menschen zu erreichen, die unsere Beratungsstelle in der Leipziger Innenstadt aus gesundheitlichen (oder anderen) Gründen nicht aufsuchen können.“ Zudem solle älteren Mitbürgern das Angebot der Sozialen Schuldnerberatung bekannt gemacht werden. Er geht davon aus, dass viele ver- oder überschuldete Menschen in dieser Altersgruppe das Angebot der Schuldnerberatungsstellen schlichtweg nicht kennen, oder aus falscher Scham nicht nutzen. Denn oftmals gilt bei älteren Menschen noch: Über Geld redet man nicht.

Das ist in Leipzig geplant

„Wir werden mit verschiedenen Netzwerkpartnern aus der Seniorenarbeit zusammenarbeiten, wie beispielsweise Seniorentreffs, Seniorenbüros, aber auch Pflegediensten oder Besuchsdiensten. Und wir bieten Vor-Ort-Beratungen an“, erklärt Marco Ringeis. Er hofft, dass damit leichter eine Vertrauensbasis aufgebaut werden kann.

Wie funktioniert die mobile Schuldnerberatung in Löbau-Zittau?

SZ-Lebensbegleiter hat mit der Schuldnerberaterin Claudia Bielß von der Schuldnerberatung in Löbau gesprochen, die stellvertretend für das sächsische Projekt der Schuldnerberatung Auskunft gibt:

Frau Bielß, herzlichen Glückwunsch zur Eröffnung der neuen mobilen Schuldnerberatung im Diakonischen Werk Löbau-Zittau. Wie wird der Beratungsservice von den Einwohnern aus der Umgebung angenommen?

Wir freuen uns sehr, dass wir als kleine Beratungsstelle für den ländlichen Raum den Zuschlag des BMUV für dieses für unsere Region so wichtige Projekt erhalten haben. Damit können wir nun endlich den Bedarf der „aufsuchenden Beratungstätigkeit“ für Senioren in der Schuldnerberatung abdecken. Da wir am 15. Juli ganz frisch mit dem mobilen Service gestartet sind, gibt es noch keine Erfahrungen aus dem Projekt zu berichten. Unsere neue mobile Projektmitarbeiterin Marina Pflaum ist für die aufsuchende Beratung zuständig und wird die Menschen besuchen. Wir können bereits mitteilen, dass die Netzwerkpartner großes Interesse zeigen und auch schon erste Beratungsgespräche vereinbart wurden.

Was sind Ihre nächsten Schritte?

Ab nächster Woche wird der Begrüßungsbrief an alle für uns wichtigen Einrichtungen und Netzwerkpartner versandt und damit die Information zum Projekt SoSoSchu (Sozialräumliche Soziale Schuldnerberatung) hier regional breit gestreut. Auf unserer Internetseite wird es ebenfalls Informationen dazu geben, ein Flyer befindet sich in Vorbereitung.

Was ist das Besondere an einer gemeinnützigen Schuldnerberatung, wie sie die Diakonie anbietet?

Unser Beratungsangebot versteht sich ganzheitlich, das bedeutet, den Menschen in seiner Gesamtheit und Lebenswelt zu sehen und anzunehmen und daraufhin innerhalb der Beratung die Unterstützung zu bieten, die notwendig ist. Bei Bedarf vermitteln wir an andere Beratungsdienste und Netzwerke, damit umfassend und bedarfsgerecht Hilfe angeboten werden kann. Außerdem arbeiten wir nach dem Prinzip der Hilfe zur Selbsthilfe und möchten damit gemeinsam mit den Ratsuchenden die passgenauen Möglichkeiten finden, die dann auch umgesetzt werden können. Unabhängig von Konfession, Weltanschauung, Nationalität und Alter beraten wir alle Menschen kostenfrei und vertraulich.

Eine Schuldnerberatung hilft auch in besonders dringenden Fällen weiter, wie einer bevorstehenden Kontopfändung oder einer drohenden Wohnungskündigung wegen Mietschulden. Die gemeinnützige Schuldnerberatung richtet sich an alle Menschen, die überschuldet oder von Überschuldung bedroht sind. Meist befinden sich die Ratsuchenden in einer finanziellen und persönlichen Notlage, aus der sie sich nicht mehr aus eigener Kraft befreien können. Oft benötigen diese Menschen auch weitere psychosoziale Unterstützung. Marina Pflaum (Foto) vom Diakonischen Werk Löbau-Zittau berät Menschen in ihrem Zuhause.

Haben alle Menschen Zugang zu einer gemeinnützigen Beratungsstelle?

In unserem Landkreis können sich alle Bürger des Landkreises an die Beratungsstelle wenden und erhalten ein Beratungsangebot. Dies natürlich mit Terminvereinbarung und den entsprechenden Wartezeiten auf den Beratungstermin.

Aber einen generellen Rechtsanspruch auf kostenfreie Beratung gibt es nicht?

Leider gibt es bisher noch keinen Rechtsanspruch auf ein kostenfreies Beratungsangebot der Sozialen Schuldnerberatung für alle Menschen. Dies ist jedoch dringend notwendig, damit jeder Bürger in einer schwierigen finanziellen Situation möglichst zeitnah ein adäquates fachliches Beratungsangebot nutzen kann. Alle Wohlfahrtsverbände und Arbeitsgemeinschaften sind dahingehend politisch aktiv. Alle sollten einen offenen Zugang zur gemeinnützigen Schuldnerberatung haben, und zwar unabhängig von ihrem Einkommen. So werden beispielsweise Erwerbstätige aus formalen Gründen oft nicht beraten, obwohl es aus fachlich-präventiver Sicht dringend geboten wäre – auch, damit sich die Situation nicht verschlimmert. Hier muss der Gesetzgeber dringend handeln.

Was bedeutet der Begriff „aufsuchend“ genau?

Aufsuchend bedeutet, dass die gesamte Beratung in der Häuslichkeit der betreffenden Person stattfinden kann. Die Termine werden als “Hausbesuche“ geplant. Es entstehen für Ratsuchende keinerlei Kosten. Bisher war es uns auch nur in sehr großen Ausnahmefällen möglich, Beratung aufsuchend zu leisten. Mit dem jetzigen Angebot der ‚aufsuchenden Beratungsarbeit‘ können wir den Zugang erweitern und auch speziell Senioren in ihrem Zuhause erreichen. Oftmals ist es gerade diese Personengruppe, welche die Beratungsstelle aus gesundheitlichen u. a. Einschränkungen nicht besuchen kann.

Was ist, wenn ältere Menschen zeitlich gar nicht mehr in der Lage sind, die Schulden bis zum Lebensende vollständig abzubauen?

Dann ist dies auch eine Thematik für unser Beratungsspektrum. Schulden können vererbt werden, wenn keinerlei Tilgung möglich ist. Dies sollten Betroffene wissen und dann gegebenenfalls entsprechend auch ihr familiäres Umfeld in die Kenntnis um die Schulden mit einzubeziehen. 

Sollte eine Tilgung aus eigener Kraft nicht möglich sein, sieht die Gesetzgebung ein eventuelles Insolvenzverfahren vor.  Als anerkannte Stelle für das Verbraucherinsolvenzverfahren (die Verbraucherinsolvenzberatung wird finanziert durch das Sächsische Staatsministerium für Soziales und gesellschaftlichen Zusammenhalt) beraten wir seit 2008 über die Möglichkeiten eines sogenannten Verbraucherinsolvenzverfahrens. Wir prüfen die Voraussetzungen dafür, führen den außergerichtlichen Einigungsversuch durch und unterstützen die Klientel bei der Antragstellung auf ein Verbraucherinsolvenzverfahren.

Wenn das alles nicht hilft?

Sollte weder eine Tilgung (vollständige Zahlung, Ratenzahlung beziehungsweise Vergleichszahlungen, Teil- oder Vollerlass der Schulden) noch ein Insolvenzverfahren in Betracht kommen, bleibt dann die Möglichkeit, mit den Schulden die Zeit bis ans Lebensende zu verbringen. Dies bedeutet ein Leben unterhalb der Pfändungsgrenze, nicht selten in Armut. Dort ist eine psychosoziale Stabilisierung der Betroffenen ganz besonders wichtig.

Was erwartet Hilfesuchende?

Die zwei Beratungsstellen der Schuldnerberatung des Diakonischen Werkes befinden sich in Löbau und Zittau. Wir beraten nach Terminvereinbarung. Diese können entweder telefonisch, per Mail oder – wenn keine Kontaktmöglichkeiten vorhanden sind – persönlich vereinbart werden. Frau Pflaum ist unsere mobile Beraterin im neuen Projekt und berät die Klientel am Wohnort.

Können Sie das detailliert erklären?

Der Ablauf unserer Schuldnerberatung wird grundlegend von dem individuellen Hilfebedarf, den Möglichkeiten und der Konstitution des einzelnen Menschen bestimmt. Die Anzahl der Beratungen bestimmt sich ebenfalls passgenau an der Klientel.

Wie sieht konkret der Ablauf aus?

Im Erstgespräch nehmen wir die Kontaktdaten des Ratsuchenden auf, besprechen die Erwartungen, klären den Hilfebedarf, konkretisieren das Angebot der Schuldnerberatung, reflektieren die möglichen Überschuldungsgründe, informieren über die Vollstreckungsmöglichkeiten der Gläubiger und entsprechende Schutzvorschriften für den Schuldner. Gemeinsam besprechen wir die Existenzsicherung bei Primärschulden (Miete, Strom, Geldstrafen), geben Hinweise auf mögliche Antragstellung hinsichtlich u.a. Sozialleistungen, informieren über das Pfändungsschutzkonto und stellen dafür gegebenenfalls eine Bescheinigung aus. Zudem wird ein Budget geplant und über Wege und Möglichkeiten im Umgang mit den Schulden informiert.

Wie geht es danach weiter?

In Folgeberatungen erstellen wir eine Übersicht der Forderungen beziehungsweise eine Gläubigerliste. Hier unterstützen wir, wenn nötig, beim Üben von Sortieren der Unterlagen, überprüfen die einzelnen Forderungen, erstellen gegebenenfalls einen Entschuldungsplan und korrespondieren mit den Gläubigern und verhandeln auch über etwaige Stundung, Vergleiche, Ratenzahlungspläne, Erlassanträge u. a.. Bei anderem und weiterem Unterstützungsbedarf vermitteln wir an die entsprechenden Dienste und Ansprechpartner und stellen bei Notwendigkeit den Antrag auf Betreuung.

Was tun, wenn eine Insolvenz ansteht?

Sollte ein Verbraucherinsolvenzverfahren notwendig werden, dann beraten wir hinsichtlich des Verfahrens und leisten alle dafür notwendigen Tätigkeiten (u.a. außergerichtlicher Einigungsversuch) der Hilfestellung bis zum fertigen Antrag. Während des Verfahrens sind wir Ansprechpartner für die Ratsuchenden bei Fragen und eventuellen Schwierigkeiten/Problemen. Nach Erteilung der Restschuldbefreiung sind wir Ansprechpartner für noch zu stellende Folgeanträge auf die Stundungen der Verfahrenskosten, Klärung im weiteren Umgang über die Notwendigkeit der Pfändungsschutzkonten, unterstützen bei entsprechenden Anträgen über das Gericht und geben gegebenenfalls Hinweise über die noch vorhanden SCHUFA Einträge.

Was ist mit Selbständigen?

Kommt ein Regelinsolvenzverfahren bei ehemals Selbstständigen in Betracht, so erhalten diese Ratsuchenden Unterstützung zur Überleitung/Antragstellung für das Regelinsolvenzverfahren. Es werden keine aktuell selbständigen Personen oder Firmen beraten. Wir beraten auch über Schutzanträge bei Vollstreckungen.

Wann endet eine Beratung?

Mit der Entschuldung, nach Antragstellung eines Verbraucherinsolvenzverfahrens beziehungsweise der erteilten Restschuldbefreiung, ab Zuständigkeit des Betreuers (Soziale Schuldnerberatung), nach der Rückmeldung, dass die Beratung nicht mehr notwendig oder gewünscht ist oder bei Tod des Klientel.

Projekt läuft zunächst bis Ende 2025

Das Projekt der ‚aufsuchenden Beratungsstellen‘ läuft bis zum 31. Dezember 2025 an verschiedenen Standorten in Deutschland. Es wird fachliche und wissenschaftlich unter anderem von der Arbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung der Verbände (AG SBV), der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen (BAGSO), dem Schuldnerfachberatungszentrum der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz (SFZ) und der dazugehörigen Forschungs- und Dokumentationsstelle für Verbraucherinsolvenz begleitet.

Anette Rietz

SZ-Lebensbegleiter Tipp:

Jeder zehnte Erwachsene in Deutschland ist überschuldet. Das sind fast sieben Millionen Bundesbürger. Die letzte vom Bundesseniorenministerium geförderte Studie zeigt, dass mehr als 22 Prozent der über 80-Jährigen in Deutschland von Armut betroffen sind. Bei Frauen liegt der Anteil noch höher. Auch der Bildungsstand spielt eine Rolle. 

Reichen Ihre Einkünfte im Alter oder bei voller Erwerbsminderung nicht für Ihren Lebensunterhalt aus, können Sie Grundsicherung beantragen. Hierzu müssen Sie Ihren Wohnort in Deutschland haben. Als einfache Faustregel gilt: Wenn Ihr gesamtes Einkommen unter 924 Euro liegt, sollten Sie prüfen lassen, ob Sie Anspruch auf Grundsicherung haben.

Schulden sind für viele Menschen sehr belastend und der tägliche finanzielle Druck verhindert oft, klare Gedanken zu fassen.

Reden hilft, suchen Sie Rat!

Nur zehn Prozent der Überschuldeten gehen zu einer Sozialen Schuldnerberatungsstelle. Mehr als 1.400 Schuldner- und Insolvenzberatungs­stellen gibt es in Deutschland. 

Hier können Sie Kontakt aufnehmen:

In Sachsen:

Hinweis: Ratsuchende wenden sich an die Beratungsstelle(n) ihres Landkreises beziehungsweise die Wohlfahrtsverbände und gemeinnützigen Vereine im Wohnort.

Diakonie Löbau-Zittau gGmbH

Löbau: Johannisstraße 14, Tel. 03585 476613, [email protected], Ansprechpartnerin Claudia Bielß

Zittau:  Böhmische Straße 6, 03583 574022, [email protected], Ansprechpartnerin Anja Radusch

Für die „aufsuchende Soziale Schuldnerberatung“ im neuen Projekt ist Marina Pflaum mobil unterwegs und über das Handy 0151 42037716 oder per Mail [email protected] zu erreichen. 

Weitere Informationen finden Sie im Internet.

Leipzig

Kirchliche Erwerbsloseninitiative Leipzig, Einrichtung des Evangelisch-Lutherischen Kirchenbezirks Leipzig, Ritterstr. 5, 04109 Leipzig, Tel. 0341 9605045, [email protected],

Mobile Schuldnerberaterin im Projekt „Aufsuchende Schuldnerberatung“: Dana Kirchner

Ebenfalls in Sachsen weisen wir auch auf verschiedene Projekte mit einem Speisen-Lieferservice für Bedürftige hin. Wir berichteten darüber in unserem Beitrag „Leipzig startet Pilotprojekt: Malteser Mahlzeitenpatenschaften„.

In Deutschland:

Diakonie Deutschland, Frau Aleksandra Perzynksa-Cudok, Tel. 030 65211-1643, E-Mail [email protected]

Die Bundesarbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung e.V. hält auf der Internetseite eine Datenbank von gemeinnützigen Trägern bereit, die bis auf wenige Ausnahmen eine kostenlose Beratung bieten.

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